Montag, 27.01.2020: Holocaustgedenktag
Wenn ich Unkraut rupfe, erinnert mich der Geruch nach Grünzeug an die beiden Sommer, die ich auf einem Friedhof verbrachte. Mein tschechischer Brieffreund hatte mich dahin 5 eingeladen. Ich war 20 Jahre alt. Gemeinsam mit jungen Leuten aus Tschechien, der Slowakei, den Niederlanden, der Ukraine und Dresden betraten wir den jüdischen Friedhof in Südmähren. Wir waren die Ersten seit dem Ende des Nationalsozialismus‘. Seit die letzten jüdischen Bewohner des kleinen Örtchens verschleppt worden oder geflohen waren. Mit Handschuhen, Gummistiefeln und Gartengerät legten wir los. Legten Grabsteine frei. Machten nach Jahrzehnten Namen sichtbar, eingemeißelt in die verwitterten Steine. Deutsche oder hebräische Buchstaben. Nach der Arbeit besuchten wir den Kantor der kleinen jüdischen Gemeinde im nahe gelegenen Brünn.
Wir trafen eine Traumatherapeutin. Sie begleitete Holocaustüberlebende und deren Nachgeborene. Mir wurde damals bewusst, wie viele Jahrhunderte lang unsere jüdischen Mitbürger Deutschland und Europa geprägt hatten. Und welchen Schatz der nationalsozialistische Wahn zu Asche hatte werden lassen. Das Ausmaß des millionenfachen Mordes ließ mich noch manches Mal weinen. Diesem Hass von damals wollte ich mit meiner Arbeit auf dem Friedhof etwas entgegensetzen. Heute ist der Internationale Gedenktag an die Opfer der Shoa. 2005 eingeführt von der UNO, 60 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Vor der Dresdner Kreuzkirche lesen Schülerinnen und Schüler ab 12 Uhr die Namen all derer vor, die aus unserer Stadt wegen ihres jüdischen Glaubens, als Sinti und Roma oder als Zwangsarbeiterinnen sterben mussten. Die Kirchen pflegen die Erinnerung. Sie ist wichtig. Gerade heute, wo wieder Menschen wegen ihrer Religion oder ihrer Hautfarbe angefeindet werden. Ich werde für einige Zeit mit dabeistehen und um Vergebung bitten.