Der Grenzübergang Bornholmer Straße am 11. November 1989
Der Grenzübergang Bornholmer Straße am 11. November 1989 Bildrechte: MDR/Bundesbildstelle/Lehnartz

"Generation Einheit" - angekommen, aber nicht alles ist gut

03. November 2019, 05:00 Uhr

Wer genau wissen will, wie sich der Blick der "Generation Einheit" auf die Deutsche Einheit seit 1990 entwickelt hat, sollte sich unbedingt die "Sächsische Längsschnittstudie" anschauen. Sie ist aufgrund ihres Themas einzigartig und gehört zu den wenigen, die seit so langen Jahren systematisch geführt werden.

Seit 30 Jahren antwortet eine relevante Gruppe Ostdeutscher regelmäßig auf diverse Fragen zu ihrem Leben im geeinten Deutschland: nach politischen Grundeinstellungen und kollektiven Identitäten, nach Lebenszielen, subjektivem Befinden, Berufsleben und wirtschaftlicher Lage. Ihre Antworten sind die Grundlage für die "Sächsische Längsschnittstudie". Die Studie ist ein Erbe des Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig. Zwischen seiner Gründung 1966 und seiner Abwicklung 1990 wurde es in der Wissenschaftswelt für diese besondere Methode der Sozialforschung bekannt. Der Vater der Studie, Prof. Peter Förster, initiierte die Studie 1989, indem er Jugendliche aus einer zuvor noch vom ZIJ in der DDR durchgeführten Meinungsforschung fragte, ob sie für die nächsten Jahre seine Fragen beantworten würden. 587 stimmten zu – 420 von ihnen sind heute, 30 Jahre später, noch immer dabei.

Überwiegend positive Bilanz

Prof. Dr. Hendrik Berth zieht eine überwiegend positive Bilanz. Er übernahm zusammen mit Elmar Brähler, Yve Stöbel-Richter und Markus Zenger im Jahr 2000 die Studie von Peter Förster, der in Ruhestand gehen wollte. Die neueste Erhebung zur "Sächsischen Längsschnittstudie" zeigt im November 2019: Es geht den meisten Probanden gut. Am deutlichsten wird das in den Antworten auf die Frage, ob sie sich als Gewinner oder Verlierer der Einheit sehen. "Anfang der 1990er-Jahre sagten viele der Studienteilnehmer: Ich bin ein Verlierer der Einheit, ich bin kein Gewinner", sagt Hendrik Berth. "Mit der Jahrtausendwende und den nachfolgenden Jahren fängt sich diese Einstellung an zu drehen, bei den Männern eher als bei den Frauen. Und etwa ab 2010 ist es die Mehrheit, die sagt: Ich bin ein Gewinner. Heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, ist es mit über 70 Prozent sogar die deutliche Mehrheit."

Deutsche zweiter Klasse

Die Gründe für diese Entwicklung in den letzten Jahren liegt klar im wirtschaftlichen Bereich. Seit 2008 ging es in Ost und West kontinuierlich aufwärts. Die Arbeitslosenzahlen sind im Osten zwar immer noch höher als im Westen, aber doch so niedrig wie seit 1990 nicht mehr. Zudem werden immer höhere Löhne gezahlt, auch wenn eine Gleichstellung mit dem Westen auch nach 30 Jahren noch nicht erreicht ist. Das zeigt sich auch in der Studie: Hier sind es immer noch 25 bis 30 Prozent der Befragten, die sich als Verlierer der Einheit und Deutsche zweiter Klasse fühlen. Um die Relevanz des Ergebnisses zu verstehen, hilft ein Blick in die Gruppe der Befragten. Sie alle waren 1990 jung, mobil und mit einem Abschluss der Polytechnischen Oberschule gut gebildet, hatte gute Vorraussetzungen für die kommenden Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch machten fast 70 Prozent der Befragten Bekanntschaft mit dem Arbeitsamt.

Noch ein langer Weg bis zur Vollendung der deutschen Einheit

Seit Beginn der Studie wird auch stets die Frage an die Teilnehmer gestellt, wann die deutsche Einheit ihrer Ansicht nach vollendet sein wird. Hendrik Berth fasst die Ansichten der Studienteilnehmer so zusammen: "Das ist Jahr für Jahr ein gleichbleibender Trend, die Zeiträume werden immer länger. Also wir brauchen jetzt noch zehn Jahre bis zur wirtschaftlichen Einheit und zwölf und mehr bis zur inneren Einheit. Die Tendenz ist gleich, die innere Einheit braucht immer länger als die wirtschaftliche. Unsere Studienteilnehmer, jetzt alle Mitte 40, prognostizieren aus ihrem eigenen Erleben heraus: Es ist noch ein Stück Weg zu gehen, bis die Einheit umgesetzt sein wird."

Leider nicht so präsent

Die "Sächsische Längsschnittstudie" wird weitergeführt, so lange genug Teilnehmer antworten. Die Wissenschaftler betreuen die Studie übrigens neben ihren regulären Aufgaben – sie ist ihre Freizeitbeschäftigung. Dem ist geschuldet, dass die Ergebnisse leider nicht präsenter in der Öffentlichkeit sind. Die umfangreiche Datensammlung zur Studie ist hier zu finden: http://wiedervereinigung.de/sls/

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "MDR Zeitreise" | 03.11.2019 | 22.20 Uhr