K/ein Unterschied Singen und klingen Jungen anders als Mädchen?

05. November 2019, 14:10 Uhr

Mädchenchöre, Knabenchöre - kann man den kleinen Unterschied, der mittlerweile sogar Gerichte beschäftigt, überhaupt hören? MDR Wissen hat im MDR Kinderchor die Probe aufs Exempel gemacht.

Es ist eine viel und hitzig debattierte Frage: Sollten auch Mädchen in berühmten Knabenchören mitsingen dürfen? Sollten alle Chöre gemischte Chöre sein? Die einen sind der festen Überzeugung, dass vor dem Stimmwechsel alle Kinderstimmen gleich sind, andere sprechen dagegen sogar von verschiedenen Musikinstrumenten. Was stimmt denn nun? Professor Dr. Michael Fuchs leitet an der Uniklinik Leipzig den Bereich Phoniatrie und Audiologie und ist auf die Betreuung von Sängern und Musikern mit Hör- und Stimmstörungen spezialisiert. Im Gespräch mit MDR Wissen sagt er:

Wenn wir singende Jungs mit singenden Mädchen vergleichen, fällt es uns sehr schwer, mit unserem eigenen Gehör diesen Unterschied wahrzunehmen. Wissenschaftlich können wir ihn aber messen.

Stimmarzt Michael Fuchs

Die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen

Aber wo genau stecken diese Unterschiede beim Singen und wo kommen sie her? Und wo hört man sie? Beim Gesangsvergleich von Jungen und Mädchen aus dem MDR Kinderchor finden sich tatsächlich Unterschiede: Der höchste Ton der Mädels das A 2, die Jungen schrauben ihre Stimmen sogar bis zum C 3, also zwei Töne höher.

Der MDR-Kinderchor im Konzert
Jungen - Mädchen: Warum klingen sie anders? Bildrechte: MDR/Andreas Lander

Genau hier haben der Stimmen- und Kehlkopf-Experte Prof. Michael Fuchs und sein Team in Studien auch schon einmal angesetzt und den Tonhöhenumfang von Kindern getestet. Überraschend: Im Durchschnitt können Jungen und Mädchen gleich hoch und gleich tief singen - wenn sie noch nicht im Stimmwechsel waren.

Der höchste und der tiefste Ton sind bei beiden Geschlechtern ungefähr gleich. Die Spanne dazwischen beträgt bei beiden Geschlechtern ungefähr zwei Oktaven. Deutliche Unterschiede finden wir dagegen bei der dynamischen Breite.

Stimmarzt Michael Fuchs

Und wie ist es mit der Lautstärke: Wer kann lauter singen? Beim Test mit den Chorkindern messen wir die Lautstärke in Dezibel. Dabei zeigt sich, dass die Jungen deutlich lauter singen können als die Mädchen.

Dieser Unterschied macht mehr als zehn Dezibel aus. Wenn wir uns das in der Physik mal anschauen, dann nehmen wir eine Steigerung von 10 db als Verdopplung der Lautstärke wahr. Das ist schon eine ordentliche Größe.

Stimmarzt Michael Fuchs

Die Stimmlippe macht den Unterschied

Dafür gibt es einen Grund: In einem körperlichen Merkmal des Stimmapparats unterscheiden sich Jungen und Mädchen voneinander, wie Professor Fuchs erklärt:

In unserem Stimmapparat ist für den Parameter Lautstärke, also die Intensität einer Stimme, vor allen Dingen der Druck verantwortlich, der von unten aus der Lunge hier am Kehlkopf ankommt. Und der ist bei Jungs definitiv größer, weil auch ihre Lungenvolumina größer sind.

Stimmarzt Michael Fuchs

Ein größeres Lungenvolumen bringt noch einen Vorteil beim Singen mit sich, wie ein weiterer Test mit unseren Chorkindern zeigt: Wer kann einen Ton am längsten halten? In unserem Test schaffen die Mädchen 14,12 Sekunden, die Jungen 28,49 Sekunden. Das überrascht selbst Chorleiter Alexander Schmitt:

Die Wissenschaft sagt ja, dass die Jungs die Töne etwas länger halten können als die Mädchen im gleichen Alter. Dass es jetzt doch merklich länger ist, war für mich dann doch sehr überraschend.

Alexander Schmidt

Ein Hauch anders - woher das kommt

Und was ist mit dem "klaren, ätherischen Klang", der in der Diskussion um reine Knabenchöre gern angeführt wird? Offenbar liegt hier der Hase im Pfeffer im Stimmapparat begraben, wie Michael Fuchs erklärt:

Wie viel von der Energie, die aus dem Luftstrom, der aus der Lunge kommt, in Ton-Energie umgewandelt wird, hängt davon ab, wie gut die Stimmlippen schließen. Wir beobachten in größeren Gruppen bei Jungs einen besseren Schluss der Stimmlippen während dieses Bewegungsverhaltens als bei Mädchen.

Ein lächelnder weißer Mann
Alexander Schmitt Bildrechte: MDR/Kaupo Kikkas

Umgekehrt gesagt könnte man festhalten: Bei Mädchen bleibt häufig ein Spalt zwischen den Stimmlippen und das führt dazu, dass ihre Stimmen etwas behauchter, belufteter klingen als die Jungenstimmen und das macht sich dann in der Tragfähigkeit und in der Lautstärke bemerkbar. Daran lässt sich allerdings arbeiten - es ist nämlich eine Frage des Trainings: Je ausgebildeter die Stimme ist, desto weniger beluftet und hauchig klingt sie. MDR Kinderchor-Leiter Alexander Schmitt sagt:

Durch die Stimmbildung werden alle Kinder in die Lage versetzt, mit etwas weniger Hauch zu singen. Auch wenn die Knaben das von Natur aus etwas weniger tun.

Stimmbruch: Die hohen Töne bleiben den Mädchen erhalten

Nach dem Stimmbruch ist bei den Jungs Schluss mit den luftigen Höhen, in die sich ihre Stimmen schrauben. Ein Mädchen mit 18 kann das dagegen immer noch. Generell lässt sich sagen, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche stimmliche Voraussetzungen haben, obwohl sie vor dem Stimmwechsel ähnlich klingen. Aber ganz gleich, ob Junge oder Mädchen, eins ist tatsächlich wissenschaftlich belegt, wie Spezialist Michael Fuchs noch einmal verdeutlicht:

Singen im Kindes- und Jugendalter bringt eigentlich nur positive Effekte und deswegen ist es auch aus ärztlicher und Forschungs-Sicht sehr zu empfehlen.

Vier lachende Mädchen in gleicher Kleidung
Den großen Mädchen im Chor bleiben die luftigen Höhen erhalten. Bildrechte: MDR/Andreas Lander

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 11 | 04. November 2019 | 11:00 Uhr