Wissen-News Live-Musik berührt uns emotional viel stärker als Musik aus der Dose

21. März 2024, 10:39 Uhr

Live-Musik ruft viel stärkere Emotionen hervor als aufgezeichnete Musik – sowohl beim Publikum als auch bei Musikerinnen und Musikern. Grund dafür sind die Neurofeedback-Schleife aber auch die Live-Musik als evolutionäre Wurzel der Musik.

Robert Schumann: Konzert für Klavier und Orchester a-Moll; op. 54
Berührt auf allen Ebenen: Live gespielte Musik kann bei Zuhörern eine viel stärkere emotionale Reaktion auslösen als aufgezeichnete Songs. Bildrechte: MDR/HA Kommunikation

Wie wirkt sich Live-Musik auf das emotionale Zentrum unseres Gehirns aus? Was passiert, wenn wir Musik live hören? Warum berührt Live-Musik so viel mehr als ein aufgezeichneter Song? Studien zeigen bislang, dass Musik emotionale und fantasievolle Prozesse in unserem Gehirn anregt. Jetzt haben Forschende Universität Zürich (UZH) wissenschaftlich nachgewiesen, dass Live-Konzerte eine viel stärkere emotionale Reaktion auslösen als aufgezeichnete Musik aus einem Gerät.

Live-Musik stimuliert das affektive Gehirn stärker

Die Wissenschaftler untersuchten konkret, wie sich Live-Musik und aufgenommene Musik auf die emotionalen Prozesse im menschlichen Gehirn auswirken. Dafür führten sie ein aufwändiges Experiment durch, bei dem ein Pianist die von ihm gespielte Live-Musik veränderte, um die emotionalen Reaktionen in der Amygdala, dem Gefühlszentrum im Gehirn, zu verstärken. Während des Experiments maßen die Forscher mit Hilfe der Magnetresonanztomographie die Aktivität in der Amygdala sowohl der 27 Zuhörer als auch des Pianisten in Echtzeit. Auf der Grundlage dieser Messungen passte der Pianist sein Spiel sofort an, um die Emotionen des Publikums weiter zu verstärken - Pianist und Zuhörer beflügelten sich sozusagen gegenseitig. Viele von uns haben diesen Rausch auf einem Konzert schon einmal erlebt.

Grafik eines Experiments, bei dem ein Pianist die von ihm gespielte Live-Musik veränderte, um die emotionalen Reaktionen in der Amygdala, dem Gefühlszentrum im Gehirn, zu verstärken.
Der Pianist im Experiment der Forscher passte sein Spiel an die Emotionen der Probanden an, um noch mehr Emotionen zu erzeugen. Bildrechte: UZH, Sascha Frühholz

Um die Reaktionen zu vergleichen, wurde den Zuhörern eine Aufnahme der gleichen Musik des gleichen Musikers vorgespielt, jedoch ohne die Neurofeedback-Schleife. "Unsere Studie zeigte, dass angenehme und unangenehme Emotionen, die als Live-Musik dargeboten wurden, eine viel höhere und gleichmäßigere Aktivität in der Amygdala auslösten als aufgezeichnete Musik. Die Live-Performance stimulierte auch einen aktiveren Informationsaustausch im gesamten Gehirn, was auf eine starke emotionale Verarbeitung in den affektiven und kognitiven Teilen des Gehirns hinweist", sagte Sacha Frühholz, Professor für kognitive und affektive Neurowissenschaften an der Uni Zürich.

Qualität der Musik wird vom Publikum eher bei Live-Musik bewertet

Die UZH-Forschenden analysierten auch, wie sich die Klaviermusik mit der Hirnaktivität des Publikums abstimmte. Eine starke Synchronisation zwischen dem subjektiven emotionalen Erleben und dem auditorischen System des Gehirns, das die Musik nach ihrer akustischen Qualität bewertet, wurde nur dann beobachtet, wenn das Publikum die Musik live hörte. Außerdem zeigte sich nur bei Live-Musik eine starke und positive Kopplung zwischen den Merkmalen der musikalischen Darbietung und der Gehirnaktivität der Zuhörer.

AC/DC-Gitarrist Angus Young
AC/DC-Gitarrist Angus Young lässt sich auf einem Konzert in Gelsenkirchen feiern: Jeder Fan kennt die Songs der legendären Hard-Rock-Band. Trotzdem sind viele Konzerte meist ausgebucht - Live-Musik bleibt ein besonderes Erlebnis. Bildrechte: IMAGO/Funke Foto Services

Live-Aufführungen sind die evolutionäre Wurzel der Musik

Menschen haben schon immer Werkzeuge und Instrumente benutzt, um live Musik zu machen. Erst die technologischen Fortschritte des frühen 20. Jahrhunderts ermöglichten es, Musik auf Geräten aufzuzeichnen und für alle Menschen zugänglich zu machen. Trotz hochwertiger Klangtechnik und Musik-Streaming-Plattformen ist das Live-Kontert als soziales Erlebnis nicht überholt – im Gegenteil. Konzerte sind ein überaus nachgefragtes Kulturereignis. "Das lässt sich vielleicht auf die evolutionären Wurzeln der Musik zurückführen", sagt Frühholz. "Die Menschen wollen das emotionale Erlebnis von Live-Musik. Wir wollen, dass Musiker uns mit ihren Darbietungen auf eine emotionale Reise mitnehmen." Oder, wie es in dem berühmten Zitat aus dem Film Casablanca von 1942 heißt: "Spiel es einmal, Sam. Um der alten Zeiten willen."

Links/Studien

https://doi.org/10.1073/pnas.2316306121

idw/ (tomi)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 05. Februar 2024 | 19:00 Uhr

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