Technologie Ethikdebatte: Wenn Mensch und Maschine verschmelzen

27. Juni 2018, 14:54 Uhr

Was ist, wenn der Mensch ins menschliche Gehirn eingreift, es "optimiert"? Damit befasst sich jetzt der deutsche Ethikrat. Anne Sailer hat für MDR Wissen das Thema näher beleuchtet.

"Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!" So mahnt Friedrich Schiller (1759 - 1805) in seinem Gedicht "Die Künstler". Bis heute wird die Debatte über die Würde des Menschen aus vielen Perspektiven geführt: philosophisch, rechtlich oder medizinisch. Der Deutsche Ethikrat befasst sich jetzt mit der Würde des Menschen im Zusammenhang mit neuen Technologien. Fragen, die bereits schon an anderer Stelle auftauchen, beispielsweise bei vorgeburtlichen Untersuchungen oder beim Thema Künstliche Intelligenz. Der Ethikrat befasst sich mit all den Fragen, die der technische Fortschritt aufwirft: Was ist, wenn der Mensch ins menschliche Gehirn eingreift, es "optimiert"? Greifen Verfahren wie zum Beispiel die tiefe Hirnstimulation in die Menschenwürde ein?

Tiefe Hirnstimulation - was ist das?

Die tiefe Hirnstimulation ist ein neurologischer Eingriff und funktioniert so: Durch ein Loch in der Schädeldecke wird dem Patienten bei vollem Bewusstsein eine Elektrode ins Gehirn eingeführt. Je nach Erkrankung werden vier bis fünf verschiedene Hirnregionen angesteuert. Diese werden dann einmalig oder während eines längeren Zeitraums elektronisch stimuliert. Der so genannte Hirnschrittmacher wird schon Jahrzehnte erfolgreich bei Parkinson-Patienten, Menschen mit Tourette-Syndrom oder auch Tremor-Patienten eingesetzt. Er unterdrückt das Zittern oder den Tick. Auch am Zentrum für Hirnstimulation an der psychiatrischen Klinik der Universität Tübingen kennt man das Verfahren und wendet es bei Depressionen an.

In diesem Bereich ist es ungleich schwieriger auch aussagekräftige klinische Studien durchzuführen als es im Bereich von Parkinson ist.  

Christian Plewnia

… sagt Klinikleiter Christian Plewnia. Grund dafür ist, dass das Krankheitsbild der Depression so vielschichtig und individuell ist. Daher hält er eine Ethikdebatte über diese Eingriffe zwar für wichtig, möglicherweise dennoch für verfrüht:

Ich kann mir schon vorstellen, dass Ängste und Probleme schon mal vorskizziert werden sollen. Was wir momentan haben, macht keinen Paradigmenwechsel.

Christian Plewnia
Filmplakat Matrix
Bildrechte: imago/United Archives

Dank Science Fiction-Filmen wie "Matrix" und einer rasanten technologischen Entwicklung gibt es die wildesten Fantasien: Was ist, wenn Google und Facebook auf unsere Hirnströme zugreifen und unsere Gedanken lesen können? Was, wenn ich mittels einer Elektrode effektiver werde? Oder depressive Menschen wieder lachen können? Wenn wir in Zukunft Psychopathen per Stromstoß zu netten Menschen machen könnten? Das ist es, was die deutsche Ethikkommission bei ihrer Jahrestagung bewegt, meint Hirnforscherin Katrin Amunts, die außerdem auch Vizevorsitzende des Deutschen Ethikrats ist:

Es ist ja so, dass die Technik schneller ist als wir, deswegen reden wir jetzt schon darüber. Und wir überlegen uns, ob wir Änderungen brauchen, Prozesse, die Zeit brauchen. Wichtige Aufgabe des Ethikrates ist es vorauszusehen.

Katrin Amunts

Neben der Frage, wie man beispielsweise nicht mündige Patienten behandeln darf, stehen Fragen im Raum, die weit in die Zukunft reichen:

Diese tiefe Hirnstimulation ist eine Technologie, die gehackt werden kann. Datensicherheit und Schutz des Patienten muss gesichert werden. Davon haben wir heute noch gar keine Vorstellung.    

Katrin Amunts

Der Traum vom Neuro-Enhancement, also dem optimierten Gehirn, ist wohl so alt wie die Menschheit. Während sich Studenten Pillen einwerfen, zieht die Hirnforschung nach. Und wer sagt schon Nein, wenn eine Elektrode verspricht, glücklich alt zu werden? Neue Untersuchungen an der psychiatrischen Klinik der Uni Tübingen zeigen es: Älteren Menschen mit Angst vor Alzheimer konnte diese durch Hirnstimulation genommen werden. Die Krankheit damit hinauszuzögern, davon träumen Neurologen und Psychiater allerdings noch. Oder: Wäre es nicht schön, wenn ich meine Kinder per Knopfdruck zum Aufräumen bewegen könnte? Vielleicht! Die gesellschaftliche Debatte über diese Fragen ist jedenfalls wichtig und unausweichlich.

Dieses Thema im Programm: MDR aktuell | Radio | 27. Juni 2018 | 08:50 Uhr