Roter siamesischer Kampffisch Betta splendens, auf schwarzem Hintergrund
Die Farbe Rot signalisiert im Tierreich meist: Achtung! Ein Beispiel ist dieser rote siamesische Kampffisch. Eine aktuelle Studie hat untersucht, warum Menschen auf Rot stärker reagieren, als auf andere Farben. Bildrechte: Imago/PantherMedia / songsak aromyim

Gamma-Wellen Was passiert im Gehirn, wenn wir Rot sehen?

05. Oktober 2022, 10:00 Uhr

Wenn wir im Straßenverkehr auf eine rote Ampel treffen, bleiben wir stehen, rote Kirschen und Beeren wecken unseren Appetit und wenn man Frauenmagazine fragt, welche Kleiderfarbe Erfolge bei Männern garantiert, lautet die Antwort ganz klar: Rot! Angeblich macht die Farbe unwiderstehlich und fungiert gerade bei Männern als "trigger" für sexuelle Anziehung. Aber auch Frauen nehmen die Farbe Rot als "Signalfarbe" wahr.

Reagiert unser Gehirn auf Rot anders?

Dass wir Rot stärker wahrnehmen als andere Farben, könnte auch in der Struktur unseres Gehirns begründet sein – vermutete zumindest ein Team aus Forschenden am Ernst Strüngmann Institute (ESI) for Neuroscience. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten wissen, ob Rot bestimmte Bereiche unseres Gehirns stärker aktiviert als andere Farben.

Im Zentrum der Untersuchung steht der sogenannte "primäre visuelle Kortex", auch V1 genannt. Das ist ein Teil der Sehrinde – welche wiederrum ein Teil der Großhirnrinde (Cortex) ist. In der Sehrinde läuft die gesamte Verarbeitung aller visuellen Reize ab, die vom Auge wahrgenommen werden. Die von der Netzhaut aufgenommenen Reize gelangen als Nervenimpulse über den Thalamus und den Sehstrahl zum primären visuellen Kortex.

Mehrere Nervenzellen erzeugen gemeinsam Gammawellen

Dieser Teil unseres Gehirns ist "retinotop" aufgebaut – das bedeutet, dass jeder Punkt auf der Retina einem bestimmten Ort auf der primären Sehrinde entspricht. Nimmt das Auge besonders starke und einfarbige Bilder wahr, so lösen diese auf dem primären visuellen Kortex eine starke Reaktion aus: Mehrere Nervenzellen auf der Sehrinde schalten sich zusammen und senden gemeinsam elektrische Impulse aus. Dabei entstehen "Hirnwellen", die auf einer Frequenz zwischen 30 und 80 Hertz schwingen. Wenn Hirnwellen in diesem speziellen Frequenzbereich stattfinden, dem sogenannten "Gamma-Band", nennt man sie auch Gamma-Wellen. Diese speziellen Wellen sind für die Wissenschaft besonders spannend, weil sie wichtige grundlegende Hinweise über die Informationsverarbeitung im Gehirn liefern können.

Wissenschaftler*innen haben oft interpretiert, dass Rot für das visuelle System evolutionsbedingt etwas Besonderes ist, weil zum Beispiel Früchte oft rot sind.

Benjamin J. Stauch | Doktorand am Ernst Strüngmann Institute (ESI) for Neuroscience

"In jüngster Zeit drehen sich viele Forschungsprojekte um die Frage, welcher spezifische Input Gamma-Wellen antreibt", erklärt Benjamin J. Stauch, Erstautor der aktuellen Studie. "Ein Auslöser scheinen farbige Oberflächen zu sein. Besonders, wenn sie rot sind. Die Wissenschaftler*innen haben dies dahingehend interpretiert, dass Rot für das visuelle System evolutionsbedingt etwas Besonderes ist, weil zum Beispiel Früchte oft rot sind."

Autos stehen bei schlechtem Wetter an einer roten Ampel.
Die rote Ampel signalisiert: Achtung, stehen bleiben! Aber liegt es an unserem Gehirn, dass wir Rot so stark wahrnehmen? Bildrechte: imago/Werner Otto

Wie wir Farben sehen Die Farbwahrnehmung unseres Gehirns funktioniert, indem auf der Netzhaut bestimmte Sinneszellen aktiviert werden, sogenannte Zapfen.
Dabei können verschiedene Zapfenarten jeweils einem bestimmten Farbspektrum zugeordnet werden: Auf die Farbe Rot reagieren die L-Zapfen, auf die Farbe Grün reagieren die M-Zapfen und auf Blau reagieren die S-Zapfen.
Das Gehirn vergleicht, wie stark die entsprechenden Zapfen reagieren und konstruiert daraus eine Farbe.

Die Vermutung: Zapfen reagieren auf Rot besonders stark

Weil vorhergehende Experimente besonders starke Reaktionen auf die Farbe Rot ergeben hatten, vermutete man, dass sich die Zapfenreaktion auf rote Oberflächen von der Reaktion auf andere Farben unterscheidet. Nachdem die Forschenden diese Hypothese mit 30 Teilnehmenden geprüft hatten, kamen sie allerdings zu dem Schluss: Rote Farbe löst keine stärkere Gammawellen-Reaktion aus als beispielsweise eine grüne Fläche. Lediglich Blautöne lösten nur schwache Reaktionen im menschlichen Gehirn aus. Warum wir also auf die Farbe Rot so stark reagieren, lässt sich alleine aus der neuronalen Struktur unseres Gehirns nicht erklären.

Wenn wir unsere Sehrinde besser verstehen, können wir blinden Menschen helfen

Die Ergebnisse der Studie sind hilfreich, weil sie uns ein besseres Verständnis unserer Sehrinde ermöglichen. Das könnte eines Tages wichtig werden, wenn es darum geht, Sehprothesen zu entwickeln. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Die aktuelle Studie untersucht die Rezeption der Farbe Rot anhand von 30 Individuen. Das ist eine höhere Fallzahl, als sie viele andere Studien auf diesem Feld aufweisen. Allerdings immer noch so wenige, dass es schwerfällt, wissenschaftlich valide Aussagen zu treffen. Zumindest liefert die Studie aber Ideen, die nun mittels einer größeren Fallbasis überprüft werden können.

Links/Studien

Die Studie Human visual gamma for color stimuli zum Nachlesen gibt es online im Journal eLife.

iz

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