Luftaufnahme der Abbruchkante des Thwaites Gletschers in der Antarktis.
Der Thwaites-Gletscher in der Antarktis "kalbt" unaufhörlich. Bildrechte: NASA / Jim Yungel

Domino-Effekt bereits in Gang gesetzt Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr zu stoppen

12. Dezember 2019, 14:18 Uhr

Die Katastrophe ist nicht mehr zu stoppen, sagt ein internationales Team von Klimaforschern. Weltweit wird der Meeresspiegel um etwa drei Meter ansteigen, sobald Eismassen aus der Westantarktis in die Ozeane fließen. Die Region zeige derartig viele Instabilitäten im Eis, dass das eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sei. Das sei das erste der gefürchteten Kippelemente, die einen unaufhaltbaren Domino-Effekt auslösten, das wir gerade kippen sehen.

In der Diskussion um den "Klimawandel", die "Klimakrise" oder gar die "Klimakatastrophe" klingt es oft, als sei das alles noch ganz weit weg, die Vehemenz der "Fridays for Future"-Demonstranten übertrieben. Doch das ist sehr wahrscheinlich ein Trugschluss, sagen Klimaforscher: Die Katastrophe ist längst angestoßen. Das legt zumindest eine aktuelle Untersuchung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) nahe.

"Das 'Schlimmste' wurde bereits in Gang gesetzt"

Im Zentrum der Untersuchung steht der Westen der Antarktis. Dort gibt es vielfach Instabilitäten im Eis, die nur darauf warten, ausgelöst zu werden, schreiben die Forscher. Wenn das passiere, würden die Eismassen unaufhaltsam in den Ozean fließen und den Meeresspiegel weltweit ansteigen lassen. Diese Region dürfte zudem auch die sein, die schneller kollabieren wird als jede andere, rechnen die Wissenschaftler vor.

Wir denken oft, dass uns beim Verlust von Eis in der Antarktis das Schlimmste erst noch bevorsteht. Das stimmt auch, aber es scheint, dass dieses 'Schlimmste' durchaus bereits in Gang gesetzt wurde.

Prof. Anders Levermann, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Luftaufnahme der Abbruchkante des Thwaites Gletschers in der Antarktis.
Der Thwaites-Gletscher: Darunter wächst ein riesiger Hohlraum. Er sei zehn Kilometer lang und vier Kilometer breit, schreiben Forscher des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der US-Raumfahrtbehörde NASA im Fachmagazin "Science Advances". Bildrechte: NASA/OIB/Jeremy Harbeck

Für einen Anstieg des Meeresspiegels um drei Meter wird das Abschmelzen dieses Teils der Antarktis sorgen, erklärt Anders Levermann vom PIK und dem Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York, Leitautor der Studie. Das wäre also für Hunderte von Millionen Menschen an den Küsten und auf den Inseln der Welt relevant - von Miami über Hamburg bis nach Shanghai.

Sorgen bereiten den Forschern insbesondere der Pine-Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher im Westen des antarktischen Kontinents, da sie bereits seit drei Jahrzehnten zunehmend Eis verlieren würden. Doch nun belegen Computersimulationen, dass insbesondere die Eismassen, die auf dem Meer schwimmen, instabil sind, so die Forscher. Und die Berechnungen zeigten, dass diese Instabilität viel schneller voranschreite als ähnliche Prozesse in anderen Teilen der Antarktis, die vergleichbar große Eismassen enthielten.

Doch es gebe auch eine gute Nachricht: Die Eismassen im Osten der Antarktis könnten bei einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs langsamer abschmelzen. Für den Westen kommt aber offenbar jede Rettung zu spät.

Der erste Domino-Stein kippt

Aber was genau passiert da in der Westantarktis? In den meisten Gebieten des eisigen Kontinents liegt die Oberflächentemperatur dauerhaft unter dem Gefrierpunkt. Doch das ändert sich: Zum einen führe der Ausstoß von Treibhausgasen zu einer weltweit wärmeren Atmosphäre - zum anderen aber auch zu wärmeren Meeresströmungen. Und die dringen eben auch bis in die Antarktis vor und starten dort unter Wasser Schmelzprozesse, schreiben die Klimaforscher.

Das habe Folgen: Ziehe sich die Aufsetzlinie - also gewissermaßen die Grenze zwischen dem Eis, das auf Felsboden liegt, und dem Eis, das schon auf dem Wasser schwimmt - zurück und mache sie das auch noch in einem Gebiet, in dem der Fels sich zum Landesinneren hin absenkt wie in eine Kuhle statt anzusteigen wie bei einem Berg, dann werde das zu einem sich selbst beschleunigenden Eisverlust führen - ein Domino-Effekt also. Das bezeichnen Klimaforscher auch als "Kippelemente".

Das erste Kippelement, das wir kippen sehen, ist das schnellste - zumindest das schnellste der Antarktis.

Prof. Anders Levermann, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Ob der Mensch diese Instabilitäten in der Westantarktis direkt ausgelöst hat, sei aber noch unklar. Und noch einen Hinweis geben die Forscher zu ihrer Studie: "Unsere Ergebnisse müssen natürlich im Licht der damit verbundenen Unsicherheiten betrachtet werden", sagt Co-Autor Johannes Feldmann vom PIK.

So hätten sie etwa den Effekt der Abstützung nicht berücksichtigt. Das bedeute, dass bestimmte aufschwimmende Eismassen oder massive und spitze Felsen auf dem Meeresboden, den Eisfluss vom Land ins Meer verlangsamen könnten.

"Auch die Daten, die wir für unsere Berechnungen aus diesem wildesten aller Kontinente verwenden, sind von Natur aus nicht perfekt", sagt Feldmann. Für ihre Berechnungen haben die Klimaforscher sogenannte Skalierungsgesetze angewandt, die in früheren Studien aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten entwickelt wurden, heißt es. Den Forschern zufolge konnten so die Geschwindigkeiten berechnet werden. Im Fall der Westantarktis bedeute der vergleichsweise schnelle Eisverlust einen Zeitraum über Jahrzehnte hinweg und könne Jahrhunderte andauern. Doch bereits jetzt sei der Antarktis-Eisverlust ein wichtiger Faktor für den Anstieg des Meeresspiegels.

Die Ergebnisse sind faszinierend. Zugleich sind sie aber auch ein klares Zeichen, dass wir mehr tun müssen bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels und bei der konsequenten Reduzierung der Treibhausgasemissionen, um den globalen Anstieg des Meeresspiegels einzudämmen.

Dr. Johannes Feldmann, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Transparenzhinweis Die PIK-Studie ist von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) öffentlich finanziell gefördert worden. Die Veröffentlichung wurde vom "Open Access Fund" der Leibniz-Gemeinschaft finanziert. Dementsprechend kann die Publikation in voller Länge frei verfügbar im Internet abgerufen werden: https://doi.org/10.5194/tc-13-1621-2019

(kki)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 04. Juni 2019 | 19:50 Uhr