Landtagswahl Thüringen Und am Ende alles offen: Was die Wahl für Thüringen bedeutet

28. Oktober 2019, 17:52 Uhr

Das Wahlergebnis ist denkwürdig. Mindestens. Das kleine Land in der Mitte Deutschlands - gespalten. Ein Drittel der Wähler stimmt für die Linke, ein Viertel für die Rechtsaußen-Partei AfD. Die CDU, langjährige Regierungspartei in Erfurt, kommt nur auf Platz 3. Eine Landesregierung, die laut Umfragen richtig beliebt ist, die hohes Vertrauen bei den Thüringern genießt, wird abgewählt. Ein Widerspruch, der auf den ersten Blick keine rationale Erklärung findet, und wohl nur von den Wählern selbst beantwortet werden kann. Die SPD bekommt nicht einmal zehn Prozent der Stimmen. Die Grünen, bundesweit auf einem Klima-Hoch, schaffen in Thüringen mit Müh und Not die Fünf-Prozent-Hürde. Noch knapper ist das Ergebnis der FDP. Das war aber, gemessen an den Umfragen, seit Monaten absehbar.

Wie weiter Thüringen?

Erst einmal ist klar: So wie bisher geht es nicht weiter. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht für sich und seine Partei einen klaren Regierungsauftrag. Aber mit wem? Die erste rot-rot-grüne Koalition in einem Bundesland kann "allein" nicht weitermachen. Ramelow braucht also mindestens einen weiteren Koalitionspartner. Das könnte die FDP sein.

Je nach Zahl der Überhangmandate könnte es für dieses Vier-Parteien-Bündnis eine knappe Mehrheit geben. Aber wie stabil wäre dieser bunte Parteienfächer? Zwischen Grünen und FDP, zwischen Linke und FDP klaffen erhebliche politische Gräben. FDP-Chef Thomas Kemmerich sagte am Wahlabend mehrfach, er wolle die Regierung Ramelow beenden. Für die Bereitschaft einer punktuellen Unterstützung für Rot-Rot-Grün spricht das nicht. Werden SPD und Grüne in einer wie auch immer zusammen gesetzten Koalition weiter mitregieren, sind ihre Verhandlungspositionen mindestens geschwächt.

CDU - Zunge an der Waage

Die FDP ist mit dem Slogan "Das Zünglein an der Waage" in den Wahlkampf gezogen - zur wirklichen Zunge an der Waage ist qua Wählerwillen nun die CDU unter Spitzenkandidat Mike Mohring geworden. Linke und CDU - das ergäbe rein rechnerisch eine stabile Mehrheit. Mohring hat im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen, mit der Linken oder der AfD ein Regierungsbündnis einzugehen. Am Wahlabend, mit diesem Ergebnis vor Augen, hat sich Mohring denn schon recht weit aus dem Fenster gelehnt: Dass es keine Mehrheiten in der Mitte gebe, verlange neue Antworten. Und: Alle, die in den Landtag gewählt seien, müssten jetzt mit einander reden. "Das Wahlergebnis hat uns auch besondere Denksportaufgaben mitgegeben." Bei seinen Denksportaufgaben kann Mohring Umfrageergebnisse von infratest-dimap zur Hilfe nehmen: Eine Mehrheit der Befragten legt der CDU nahe, ihre Haltung zu überdenken, sollte es knapp werden. Und zwar in Richtung Linke. Immerhin hätte die CDU die Möglichkeit, eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung auch ohne Koalitionsvertrag zu tolerieren.

In praktische Politik umgesetzt, würde das bedeuten: Die CDU stimmt im Parlament Gesetzesvorlagen der Koalition zu oder verschafft dieser zumindest durch Enthaltung eine Stimmenmehrheit. Im Gegenzug unterstützt die Koalition Gesetzesvorhaben der CDU. Im 30. Jubiläumsjahr der Herbstrevolution in der DDR dürfte allerdings mancher Wähler im Osten Deutschlands eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit der CDU mit der SED-Nachfolgepartei Die Linke als Hohn empfinden.

Avancen von der AfD

Die Thüringer AfD ist durch ihren Landesvorsitzenden Björn Höcke und dessen rechtsnationalem Duktus geprägt. Sie hat noch am Wahlabend klar den Willen bekundet, den Freistaat regieren zu wollen - und setzte der CDU das Messer auf die Brust: Diese könne eine "bürgerliche" Koalition mit der AfD eingehen oder die Wähler "verraten und sich der Linken andienen", hieß es aus der AfD-Führung in Erfurt. Sehr wahrscheinlich ist ein solches Bündnis eher nicht: In einer AfD-CDU-Zusammenarbeit wäre die CDU nur der kleinere Bündnispartner. Würden die Thüringer Christdemokraten der AfD zur ersten Regierungsbeteiligung verhelfen, würde das für ein bundespolitisches Erdbeben sorgen. Die Erwartungen der Bundesparteizentralen spielen eine wichtige Rolle bei den Überlegungen zu möglichen Koalitionen.  

Neue Töne im Parlament

Ändern wird sich auch der Alltag im Parlament. Die CDU hat sich in den vergangenen Jahren schon mit der Oppositionsrolle schwer getan, nun wird sie sich daran gewöhnen müssen, noch weniger Abgeordnete in den Plenarsaal zu schicken. Die SPD hat mit den acht erkämpften Sitzen immerhin ihr Spitzenpersonal gerettet - große Sprünge kann sie nicht mehr machen, gleiches gilt für die Grünen. Die AfD kann dagegen richtig Ansprüche auf attraktive Posten geltend machen. Der Ton war in der vergangenen Legislatur schon rauer geworden, mehr Zwischenrufe, mehr Ermahnungen. Lange vermisste Töne dürfte es im Landtag dagegen aus anderer Richtung geben: von der nun wieder dort vertretenen FDP. Die hatte im Wahlkampf vor allem damit argumentiert, der bürgerlichen Mitte wieder eine Stimme im Landtag geben zu wollen.

Diskurs an Ränder verlagert

Mit diesem Anspruch stehen die Liberalen allerdings nicht allein. Auch CDU und AfD beanspruchen für sich, diese bürgerliche Mitte vertreten zu wollen. Bei der AfD darf man das getrost bezweifeln. Ist sie doch ebenso wie die Linke seit Jahren dafür mitverantwortlich, dass der politische Diskurs in Thüringen von der politischen Mitte hin zu den Rändern gewandert ist. Die Linke als seit fünf Jahren "staatstragende" Partei in Thüringen will den Verfassungsschutz abschaffen und blockiert auch schon mal in Gestalt ihrer Landesvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow eine Demonstrationsroute der AfD. Die Botschaft: Im Kampf gegen Rechts dürfen auch geltende Gesetze übertreten werden.

Die AfD wiederum hetzt gegen Flüchtlinge, "Altparteien" und Journalisten und setzt angeblich nicht neutrale Lehrer unter Druck. In einer derart politisch aufgeheizten Stimmung sah sich der Wähler offenbar dazu aufgefordert, entweder für Links oder Rechts Partei zu ergreifen. Auch deshalb, weil die politische Mitte kaum noch hörbar war.

Der neue Landtag muss sich spätestens am 30 Tag nach der Landtagswahl konstituieren, so ist es in Artikel 50 Absatz drei der Thüringer Verfassung geregelt. Damit endet dann formal die alte Legislaturperiode. Das bedeutet konkret, dass bis zum 25. November 2019 das erste Plenum stattfinden muss. Die Konstitution des neuen Landtags ist unabhängig von der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten oder Ministerpräsidentin. Dieser bleibt im Amt, bis ein Nachfolger gewählt wird.

Quelle: MDR THÜRINGEN/rel/dr

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 28. Oktober 2019 | 19:00 Uhr

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