Eine Häuserfront mit Facebook-Daumen im Vordergrund.
Wo in Magdeburg bis vor kurzem ein digitales Unternehmen seinen Sitz hatte. Bildrechte: MDR/Daniel George

Geschäft mit gekauften Followern Die Like-Verkäufer von Magdeburg: Was hinter Paidlikes steckt

17. Januar 2020, 14:47 Uhr

Die Magdeburger Website Paidlikes verkauft Likes und Follower – und sorgte damit bundesweit für Aufsehen. Eine Recherche legte Kunden und Arbeitsweisen von Paidlikes offen. Doch: Welche Rolle spielt die Website im globalen System um Manipulation auf Social Media wirklich? Eine Geschichte über die Absurdität der Währungen im Internet und die Macht von Google und Co.

Daniel George
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Der Magdeburger Norden. Ein Plattenbau, sechs Geschosse. Was niemand ahnen würde: Bis vor kurzem wurde von hier aus ein Geschäft um Millionen von Likes, Followern und Abos organisiert. Zumindest stand diese Adresse im Impressum von Paidlikes. Die Website machte Ende vergangenen Jahres bundesweit Schlagzeilen: NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung erhielten Einblick in eine Liste mit knapp 90.000 Links zu Social-Media und Websites, die von gekauften Likes über Paidlikes profitiert haben. Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum hatten die Daten zugänglich gemacht. Die Daten-Analyse gewährte einen Blick in das Paidlike-Geschäft und zeigte, wer Follower und Likes kauft – Dienstleister, Künstler, Politiker, Unternehmen aller Art.

Was steckt in diesem speziellen Fall hinter dem Geschäft mit den gekauften Likes? Und: Welche Rolle spielt Paidlikes im großen ganzen System? Fragen, die bislang offen bleiben.

Mehr als 13 Millionen Likes durch Paidlikes vermittelt

Die Suche nach Antworten führt zu Alexander Räss. Sein Name steht im Impressum von Paidlikes. Räss ist Geschäftsführer der REDmedia GmbH. Die Online-Marketingagentur aus Magdeburg steckt hinter Paidlikes. Wie der Geschäftsführer eines Unternehmens, das Likes verkauft, wohl am besten zu erreichen ist? Natürlich: über Facebook. Doch die Nachricht landet im Anfragen-Ordner. Er sieht sie nicht.

Paidlikes hat in den vergangenen sieben Jahren laut eigenen Angaben mehr als 13 Millionen Likes, Follower und Abos vermittelt. Ob Paidlikes von Beginn an zur REDmedia GmbH gehörte, bleibt offen.

Der Geschäftsführer von Paidlikes?

Über sein Handy ist der Geschäftsführer erreichbar. Kontaktaufnahme per WhatsApp. Ob er für ein Interview bereit stünde? Er liest die Nachricht wenige Minuten später. Die blauen Haken verraten es. Er ist online, doch er schreibt nicht. Viel Stress. Durch die Veröffentlichungen ist seine Firma in den Fokus geraten. Plötzlich gibt es zahlreiche Medienanfragen.

Ein paar Stunden später lehnt er das Interview höflich ab. Er sei keine Person des öffentlichen Interesses und wolle dies auch nicht werden. Allerdings erklärt er einige Hintergründe, unter der Voraussetzung, dass diese vertraulich bleiben. Auf Nachfrage stimmt er schließlich zu, die Fragen von MDR SACHSEN-ANHALT schriftlich zu beantworten. Besser gesagt: beantworten zu lassen – und zwar von der zuständigen Projektleiterin bei Paidlikes. Die Fragen werden pünktlich zur gesetzten Deadline beantwortet.

Auf der Gründerwoche der Hochschule Magdeburg-Stendal im Sommer vergangenen Jahres gab Paidlikes-Geschäftsführer Alexander Räss laut Internetseite "spannende Einblicke" in sein Gründungsvorhaben, also die REDmedia GmbH. Diese werde auch mithilfe der Hochschul-Initiative "gründet" realisiert. Schwer vorstellbar, dass die Hochschule ein zwielichtiges Geschäft unterstützt. Doch eben dieser Eindruck schwingt in der öffentlichen Bewertung des Themas, bei der Kritik an dem Geschäftsfeld immer mit.

"Willkommen bei Magdeburgs erster Online-Marketing Agentur", steht auf der Website der REDmedia GmbH geschrieben. Eine direkte Verbindung zu Paidlikes ist nicht zu finden. Weiter heißt es: "Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche: den Verkauf. Denn wir sind weder Webdesigner, noch Programmierer. Wir sind Verkäufer." Wer will, kann sofort ein Strategiegespräch vereinbaren. Alles wirkt transparent. Wie bei den unzähligen anderen Unternehmen dieser Art, die es mittlerweile auch in Sachsen-Anhalt gibt. Mit Online-Marketing Geld zu verdienen, ist längst keine Marktlücke mehr.

Paidlikes im ganzen System "eher unwichtig"

Wer bei Google nach der REDmedia GmbH sucht, findet auch die red lemon media GmbH – und Warnungen vor ihr. Das Unternehmen ist in der Vergangenheit offensichtlich vor allem durch fragwürdige Gutschein-Gewinnspiel-Tricks auf Facebook aufgefallen. Ob eine Verbindung zwischen der REDmedia GmbH und der red lemon media GmbH mit Sitz im hessischen Eschborn besteht? "Eine Beziehung zu einer solchen Firma ist mir nicht bekannt", schreibt Yulia Malkovich, die Projektleiterin von Paidlikes.

Ob der Kauf und Verkauf von Followern und Likes aus ihrer Sicht moralisch verwerflich ist? "Paidlikes bietet den Tausch und auch Kauf von Fans an. Das hilft gerade kleinen Unternehmen oder Personen dabei, die mit einer neuen Social-Media-Präsenz starten", erklärt Malkovich. "Die Anzahl der teilnehmenden Nutzer und die tatsächliche Kapazität ist im Vergleich zu großen und internationalen Anbietern eher gering." Keine richtige Antwort auf die Frage.

Globales Netzwerk aus Like-Verkäufern

Patrick Vonderau, Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, bestätigt diese Aussage. Seit 2018 forscht Vonderau zu gekauften Likes und Followern im Internet. Mit anderen Forschern und Journalisten des Medienunternemens VICE deckte Vonderau im vergangenen Jahr auf, dass es längst ein globales Netzwerk aus Menschen gibt, die soziale Medien im großen Stil manipulieren – und damit Geld verdienen.

Prof. Dr. Patrick Vonderau von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Bildrechte: MDR/Daniel George

Ich halte es für problematisch, eine Firma zu isolieren und dann so zu tun, als hätte man das ganze System geknackt. Das ist einfach Quatsch.

Prof. Dr. Patrick Vonderau über die Veröffentlichung der Daten von Paidlikes

Vonderau hat sich mit dem deutschen Markt beschäftigt. "Ich bin schnell zu dem Schluss gekommen, dass sehr wenig davon mit Schattenwirtschaft im engeren Sinn zu tun hat", sagt er im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Ich würde davor warnen, die Akteure zu kriminalisieren, die solche Dienste anbieten. Es gibt im deutschsprachigen Raum meiner bisherigen Forschung zufolge fast 70 vergleichbare Online-Shops, von denen vielleicht sechs etwas lukrativer sind als die anderen. Paidlikes ist ein mittelständisches Unternehmen, das in der Gesamtökologie dieser Dienste, die es global gibt, eher unwichtig ist. Deshalb leuchtet mir nicht ein, dass daraus ein Scoop gebastelt wird, der recht wenig aussagt über dieses System insgesamt."

Das Geschäft mit den Likes: "Google ist der Marktmacher"

Vonderau sagt, auch ihm seien die Daten, die letztendlich durch Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum veröffentlicht wurden, angeboten worden. Aus den USA. Weil die Website von Paidlikes offensichtlich nachlässig programmiert war. Der Medienwissenschaftler aus Halle lehnte den Datensatz ab. Denn: "Ich fände es als Forscher unethisch, mir Daten auf diese Weise anzueignen. Gerade vor dem Hintergrund, mit dem Wissen, welche Rolle Paidlikes in dem System spielt."

Keine große, sagt Vonderau: "Wichtig dabei zu beachten ist, dass es neben den Online-Shops und auch den Austauschnetzwerken, wie Paidlikes eins betreibt, jede Menge sogenannter Panels gibt, also Großhändler, die veschiedene Angebote bündeln und dann an Online-Shops vertreiben. Das große Geld gibt es nicht auf der Shop-Ebene oder bei Paidlikes, sondern auf der Panel-Ebene und auch da nicht im deutschsprachigen Raum."

Die REDmedia GmbH ist ein legales Unternehmen. Genau wie die Website Paidlikes. Auch, wenn sich die Frage nach der Moralität natürlich stellt. Doch: "Man kann das Ganze moralisch verurteilen, aber das trifft dann auf alle zu, die diesem Markt ein Forum bieten", gibt Vonderau zu bedenken. "Das wichtigste Instrument zur Schaffung dieses Marktes ist Google. Welche Firma ich mir zum Kaufen von Likes aussuche, läuft über die organischen Rankings bei Google. Google ist der Marktmacher. Ohne PayPal könnte nicht kassiert werden. Das hängt alles miteinander zusammen. Aber da wird es dann schwieriger mit der Kritik. Das ist dann natürlich nicht so eine gute Story, das klingt dann nicht so knackig wie ein Scoop."

Was ist ein Scoop?

Als Scoop wird in der Sprache der Medienschaffenden eine sensationelle und exklusive Meldung bezeichnet, mit deren Veröffentlichung eine Zeitung oder ein anderes Medium seinen Wettbewerbern zuvorkommt.

Was tun, wenn Politiker sich Likes und Follower kaufen?

Tatsächlich brisant: Politker und Verbände aller großen politischen Parteien stehen laut NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" in der Liste von Paidlikes. Projektleiterin Malkovich erklärt dazu: "Paidlikes verbietet Kampagnen für Parteien, Politiker oder politische Organisationen und geht auch dagegen vor."

Und wie? "Kampagnen werden deaktiviert, sobald wir Kenntnis über unerwünschtes Verhalten erlangen." Kampagnen bedeuten in diesem Fall: den Kauf von Likes oder Followern. Nach Informationen von MDR SACHSEN-ANHALT bleiben die URLs trotzdem im System gespeichert und tauchten deswegen in der analysierten Liste auf. "Zusätzlich können Nutzer (die Clickworker von Paidlikes, Anm. d. Red.) Kampagnen über eine Funktion ausblenden. Eine Kampagne wird automatisch deaktiviert, wenn sie mehr als zehn Ausblendungen erhalten hat. So werden Kampagnen mit unangemessenen Inhalten meist schon nach wenigen Stunden nicht mehr auf der Seite angezeigt – selbst dann, wenn sie den Geschäftsbedingungen entspricht, aber bei den Nutzern negativ auffällt." Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Wer damit Geld verdient, klickt ohne große Reflektion auf fast alles.

Paidlikes verbietet Kampagnen für Parteien, Politiker oder politische Organisationen und geht auch dagegen vor.

Paidlikes-Projektleiterin Yulia Malkovich

Wie ist der Kauf von Likes rechtlich zu bewerten? Experten sind sich uneinig. Influencer oder Unternehmen machen sich aber unter Umständen strafbar. Denn: Kunden wird durch gekaufte Likes Beliebtheit und Seriosität vorgegaukelt, die nicht echt ist. So könnte eine Wettbewerbsverzerrung und Irreführung vorliegen, sagte Anwältin Scarlett Lüning dem NDR. Ist der Kauf von Followern ein Betrugsversuch? Paidlikes erklärt: "Nein, einen Betrugsversuch können wir dabei nicht sehen."

Logisch. Es ist ihr Geschäftsmodell. Eines, das viel aussagt über die absurde Bedeutung von Likes und Followern in unserer Zeit. Eines, das es selbstredend zu hinterfragen gilt – vor allem von den Plattformen, auf denen diese Geschäfte stattfinden. Facebook hat die App, über die sich die Clickworker bei Paidlikes bislang anmelden konnten, vorübergehend gesperrt. Das Problem aber bleibt – und es ist ein großes.

Doch: "Ich halte es für problematisch, eine Firma zu isolieren und dann so zu tun, als hätte man das ganze System geknackt. Das ist einfach Quatsch", sagt Vonderau abschließend zum Paidlikes-Fall. "Es ist ja nicht so, dass mit dieser Firma jemand ganz von außen kommt und das soziale Web kaputtmacht. Ein Großteil der Digitalwirtschaft schwört auf das Prinzip der kreativen Zerstörung, nur sind es diesmal irgendwelche Kleinunternehmer und nicht die Plattformen – und das passt manchen nicht."

Unsere Paidlikes-Recherche auf Instagram nachvollziehen!

MDR SACHSEN-ANHALT auf Instagram
Bildrechte: MDR/Screenshot

Wir haben Sie in dieser Woche mitgenommen auf unseren Recherche-Weg.

Wer steckt hinter der Magdeburger Firma Paidlikes? Kommen wir mit den Machern ins Gespräch?

Was sagen Influencer aus Sachsen-Anhalt zu gekauften Likes? Und: Welche Fragen haben Sie zu dem Thema?

Darüber haben wir Sie in unserer Instagram-Story informiert. Jetzt steht alles zum Abruf in den Story-Highlights "Gekaufte Likes" bereit.

Also: Einfach @mdr_san folgen und noch einmal dabei sein.

Über den Autor Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

Quelle: MDR/dg

2 Kommentare

J.Heder am 18.01.2020

Ein wirklich sehr interessanter Beitrag! Da ich vor einigen Jahren als Außen, und Kundendienst selber mit dem "klassischen Vertrieb" befasst war, sind mir einige damit verbundene Themen durchaus geläufig. Andererseits zeigen so einige "Auswüchse" welche aus dem Zusammenhang "Vertrieb - Kundenfindung - Kundenbindung - Umsatz - verdientes Geld" ganz zwangsläufig folgen! Es ist allerdings auch ein ganzes Stück weit die Verlogenheit am System. Das aufgedeckte Geschäftsmodell ist "per sė" nicht verboten, zwar moralisch "anrüchig" bedient jedoch leider nur einen der Grundsätze im Vertrieb; es geht ausschließich um Geld, wenn Du (Ich) die Methodik nicht anwendest, macht es dein Konkurrent und ist damit evtl erfolgreich(er). Daraus folgt früher oder später das "nackte Überleben" und verdienter Lebensunterhalt! Eine Kritik dieses Geschäftsmodells, ist ein großes Stück auch Systemkritik in welchem wir ALLE Leben und klar kommen müssen. Dann müssen wir das System grundlegend verändern.....

cark am 17.01.2020

Die differenzierte Herangehensweise des Beitrags an das Thema ist zu begrüßen, ebenso wie die Einordnung "[e]ines [Geschäftsmodells], das viel aussagt über die absurde Bedeutung von Likes und Followern in unserer Zeit."

Aber: Die klassischen reichweitenstarken Medien tragen auch zur Aufwertung der sozialen Medien bei, welche die problematische Grundmechanik des als absurd beklagten Geschäftsmodells erst bereitstellen. Und zwar indem sie diese alltäglich vielfach nennen, mit Bedeutung aufladen und oft auch selbst Inhalte (exklusiv) auf diese Plattformen anbieten. Ein Beispiel ist die Präsentation der Recherche auf Instagram. Wenn mich das interessiert, muss ich mich bei Instagram registrieren.... Das ist Rundfunkbeitrag-finanzierte Ackquise von Insta-Nutzer:innen - zum Wohle der Facebook-Aktie.

Das ist nicht im Interesse der Leser:innen hier, nicht im Interesse des MDR und auch nicht im Interesse einer Gesellschaft, die auf souveräne öffentliche Medien mehr denn je angewiesen ist.

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