Sachsen-Anhalt und Vietnam Das Handwerk sucht Mitarbeiter – in Vietnam

19. November 2019, 17:30 Uhr

Egal ob Handwerk, Handel oder Pflege: Alle Wirtschaftsbranchen suchen nach Fachkräften und Auszubildenden. Die Handels- und Handwerkskammern wollen nun Arbeitskräfte aus Fernost anwerben.

MDR-Redakteur Roland Jäger
Bildrechte: Philipp Bauer

Die Auftragsbücher sind gefüllt, doch den Unternehmen fehlen die Leute, um all die Arbeit zu schaffen. Besonders der Nachwuchs fehlt. So sehe es in vielen Handwerksbetrieben in Sachsen-Anhalt derzeit aus, schildert Burghard Grupe, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer in Magdeburg: "Manche Betriebe nehmen Aufträge nicht mehr an, oder sie beteiligen sich nicht mehr an öffentlichen Aufträgen – weil sie nicht mehr die Kapazitäten haben."

Als Maßnahme gegen die Personalprobleme reisen die Handwerkskammern, aber auch Vertreter der Industrie, von Ausbildungsträgern und von den Hochschulen Sachsen-Anhalts nach Vietnam. Die Wirtschaftsdelegation plant, bestehende Kooperationen zu pflegen und neue Kontakte zu knüpfen. In dem ostasiatischen Staat sollen Fachkräfte und Auszubildende angeworben werden.

Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) sagte: "Wir wissen in Sachsen-Anhalt, dass der Fachkräftebedarf aus eigener Kraft nicht mehr zu decken ist. Wir sind zu wenige, um die Bedürfnisse der Wirtschaft in den nächsten Jahren noch abdecken zu können." Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass bis 2030 im Land etwa 300.000 Fachkräfte fehlen werden.

Kooperationen in Wirtschaft und Wissenschaft

Ganz konkret werden auf der Reise vom 19. bis 26. November die Deutsch-Vietnamesische Hochschule in Ho-Chi-Minh-Stadt und die Hochschule Anhalt eine Kooperation über den Studiengang Architektur schließen. Außerdem steht ein Besuch in einem Berufsbildungszentrum, an dem Sachsen-Anhalt beteiligt ist, auf dem Programm.

Die Stadt Wernigerode möchte den Austausch mit ihrer vietnamesischen Partner-Stadt Hoi-An ausbauen. Gerade in der Region um die Großstadt Hoi An planen die Handels- und Handwerkskammern, Arbeitskräfte für Sachsen-Anhalt zu gewinnen, denn die Region ist wirtschaftlich weniger entwickelt als andere Gegenden des asiatischen Staates. Dort gibt es also besonders viele junge Menschen, die Arbeit suchen. Die Handwerkskammer Magdeburg denkt groß: Geschäftsführer Burghard Grupe geht davon aus, dass Sachsen-Anhalts Betriebe Bedarf an Hunderten vietnamesischen Arbeitskräften haben.

Es geht nicht um eine Einwanderung ins Sozialsystem. Sondern: Es geht darum, Leute hierher zu holen, die hier fleißig arbeiten und die wir dringend benötigen. Und das muss doch im Interesse der gesamten Gesellschaft sein.

Burghard Grupe, Handwerkskammer Magdeburg

Wie Vietnam und Sachsen-Anhalt wirtschaftlich verknüpft sind

Ostdeutschland und Vietnam haben traditionell eine enge wirtschaftliche Verknüpfung – zu DDR-Zeiten kamen Vietnamesen im Rahmen der 'sozialistischen Bruderhilfe' zur Ausbildung und Arbeit her. Diese traditionelle Verbindung soll nach dem Wunsch der Wirtschaftsverbände und der Landesregierung – ohne sozialistisches ideologisches Vorzeichen – nun wieder aufleben. In ersten Ansätzen laufen bereits Kooperationen: Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA bildet in Sachsen-Anhalt bereits Mitarbeiter aus Vietnam aus. Das Europäische Bildungswerk unterhält Ausbildungs-Beziehungen nach Vietnam.

Als Handelspartner spielt Vietnam bisher für Sachsen-Anhalt keine große Rolle. Das Land exportierte 2018 Waren im Wert von rund 23,9 Millionen Euro, importierte aus dem kommunistischen Staat Waren im Wert von 52,4 Millionen Euro – vor allem Schuhe und Bekleidung wurden gehandelt. Wirtschaftsminister Willingmann sagte MDR SACHSEN-ANHALT, das sei im Grunde nicht der Rede wert. Deshalb drehe sich die Reise nicht um Warenexport, sondern die Fachkräftegewinnung. Vietnams größtes wirtschaftliches Potential steckt in den vielen jungen Menschen, die dort leben – und die Sachsen-Anhalts Wirtschaft fehlen.

AfD kritisiert die Wirtschaftsreise, Die Linke unterstützt sie

Zuletzt hatten die Oppositionsparteien im Landtag Wirtschaftsminister Willingmann für Delegationsreisen kritisiert: Eine Wirtschaftsreise in die USA etwa sei zu teuer gewesen und habe zu wenig Ergebnisse gebracht.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Alexander Raue, sagte MDR SACHSEN-ANHALT: "Bevor wir nach Vietnam reisen und um Fachkräfte werben, sollten wir diejenigen, die sowieso hier sind und die auf absehbare Zeit noch nicht abgeschoben werden, erstmal qualifizieren und in Arbeit bringen." Zum akuten Fachkräftemangel sagte Raue, man sehe bereits in vielen Betrieben den Einsatz von Robotern und Künstlicher Intelligenz – vor allem in der Industrie. Er gehe davon aus, dass sich KI auch in der Pflege, der Bauindustrie und in der Beschulung von Kindern durchsetzen werden – vor diesem Hintergrund sieht Raue keinen Bedarf für Zuwanderung, auch nicht aus Vietnam. Willingmann nannte diese Position "naiv".

Die Flagge von Vietnam
Vietnam ist bis heute ein autoritärer Staat unter kommunistischer Führung. Bildrechte: Colourbox.de

Die Linke hingegen unterstützt die Reise- und die Kooperationspläne des Wirtschaftsministeriums. Andreas Höppner, wirtschaftspolitischer Sprecher der Partei im Magdeburger Landtag, sagte, Die Linke halte es grundsätzlich für richtig, in Vietnam Vertrauen und Kontakte aufzubauen: "Insbesondere betrifft das den Fachkräftebedarf, den wir in Sachsen Anhalt, ja definitiv haben. Wir müssen schauen: Wo bekommen wir Fachkräfte her? In welcher Form? Wie können wir ausbilden?" Höppner sagte, die Kooperation dürfe "keine Einbahnstraße" sein – auch Vietnam selbst müsse profitieren.

Nicht die alleinige Lösung des Fachkräftemangels

Obwohl die Handwerkskammer sich von der Kooperation mit Vietnam offenbar sehr viel verspricht, sieht Burkhard Grupe darin nicht die Lösung der heimischen Personalprobleme – auch diese Maßnahme sei eher ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch in Sachsen-Anhalt selbst müsse stärker für die dualen Ausbildungen geworben werden.

MDR-Redakteur Roland Jäger
Bildrechte: Philipp Bauer

Über den Autor Roland Jäger arbeitet seit 2015 für den Mitteldeutschen Rundfunk - zunächst als Volontär und seit 2017 als Freier Mitarbeiter im Landesfunkhaus Magdeburg. Meist bearbeitet er politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen – häufig für die TV-Redaktionen MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE und Exakt - Die Story, auch für den Hörfunk und die Online-Redaktion. Vor seiner Zeit bei MDR SACHSEN-ANHALT hat Roland Jäger bei den Radiosendern Rockland und radioSAW erste journalistische Erfahrungen gesammelt und Europäische Geschichte und Germanistik mit Schwerpunkt Medienlinguistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg studiert.

Quelle: MDR/rj

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 19. November 2019 | 12:00 Uhr

13 Kommentare

Mispelbond am 20.11.2019

Warum sucht man nicht in der EU, es gibt ein Heer von Arbeitslosen in Portugal, Spanien, Italien usw. dafür bedarf es keiner Weltreise um einem Entwicklungsland seine Facharbeiter weg zu nehmen. Außerdem gibt es genug eigene Arbeitslose die für diese Berufe umgeschult werden könnten. Und ja, wo sind die ganzen Facharbeiter hin die seit 2015 zu Millionen in unser Land eingewandert sind...???

Marko am 19.11.2019

Verstehe ich aber nun nicht. Angeblich sind doch Millionen Fachkräfte gekommen. Wo sind die denn hin ? Mit den Vietnamesen hat das schon zu DDR Zeiten geklappt. Also keine schlechte Idee. Nur die Notwendigkeit leuchtet mir nicht so ganz ein.

frank d am 19.11.2019

Spannend unsere Jugend welche sich Freitags während der Schulzeit gesellschaftlich engagiert, ansonsten zum Großteil an dien Unis des Landes dafür sorgt dass Soziologie und Gender Professoren nicht arbeitslos werden, ansonsten die Welt die Galaxie die Menschheit retten. Alles ohne Leistungsdruck und Anstrengung.
Bekommen weder die eigenen alten gepflegt da wirbt der Minister Weltweit
Die eigenen Brote gebacken oder Wurst gemacht überall sollen andere helfen.
Das wird spannend wovon all die studierenden später leben wollen, dazu noch ihre Hybris nach Weltenrettung finanziert.
Mein Tipp: dass wird ein Desaster. Die Verbalmoralapostel studierenden werden nicht begeistert sein wenn von Ihnen der Verzicht den sie predigen abverlangt wird. Allerdings können die nicht auswandern welcher Staat importiert schon Soziologen oder Politikwissenschaftler, Klimapsychologen usw. da bleibt halt nur eine Karriere als NGO irgendwas. Sapere Aude

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