Die Ludwig-Wucherer-Straße in Halle
Das Viertel um die Ludwig-Wucherer-Straße prägt normalerweise das Lebensgefühl in Halle. Doch seit einer Woche trägt das Viertel Trauer. Bildrechte: imago/Steffen Schellhorn

Schmerz mischt sich mit Wut Terroranschlag im Viertel: Wie die "LuWu" in Halle Trauer trägt

16. Oktober 2019, 20:53 Uhr

Die Wohngebiete entlang der Ludwig-Wucherer-Straße in Halle prägen das positive Lebensgefühl der Stadt. Normalerweise. Denn seit dem Anschlag, bei dem zwei Menschen in unmittelbarer Umgebung getötet wurden, trägt das Viertel Trauer. Die Menschen fordern ein Umdenken der Politik – denn der Angriff kam nicht aus dem Nichts.

Die Ludwig-Wucherer-Straße ist eine der markantesten Straßen in Halle. Vom Steintor führt sie am Paulusviertel vorbei zum Reileck. In diesem Teil der Stadt findet man zahllose Geschäfte, Restaurants und Kneipen. Hier wohnen viele Familien und Studenten. Es ist bunt, lebensfroh und oft laut. Das Lebensgefühl der Stadt, es wird ganz entscheidend von der LuWu, wie die Straße umgangssprachlich genannt wird, und ihrer Umgebung geprägt.

Doch davon ist derzeit nichts zu spüren. Im Kiezdöner, der sich an der Straße befindet, wurde vergangene Woche ein junger Mann erschossen. Ein paar hundert Meter entfernt, vor der Synagoge starb eine Frau, ebenfalls durch Schüsse. Der rechtsextreme Anschlag hat die Menschen in Halle, und vor allem diejenigen, die in unmittelbarer Nähe zu den Tatorten wohnen, tief getroffen.

Weithin sichtbares Mahnmal

Vor dem Dönerimbiss stehen Blumen und Kerzen. Wenn es dunkel wird, leuchten diese weit sichtbar – wie ein Mahnmal. Entsprechend gedrückt ist die Stimmung. Eine Passantin erzählt: "Das ist ein bisschen wie auf dem Podest, weil es hier ja den Berg hochgeht. Es ist ein komisches Gefühl, dort zu stehen, wo der Täter stand."

Eine andere ergänzt: "Meine Familie wohnt seit vielen Generationen in Halle. Ich habe Kinder und Enkelkinder, die sich hier etwas aufbauen. Und ich bin einfach verängstigt, erschrocken und traurig." Die Mitarbeiterin eines Computerladens ergänzt: "In den letzten Tagen hatte man das Gefühl, dass einem tonnenschwere Steine auf der Brust liegen und man keine Luft bekommt."

"Wie im Film"

Immer wieder hört man davon, dass sich ein Schatten oder ein Schleier über das Viertel gelegt habe. Einige Passanten berichten auch davon, dass sie es seit dem Anschlag vermeiden, den Döner-Imbiss zu passieren. Stattdessen nehmen sie lieber Umwege in Kauf. So auch Carola Tröbner, die an der Ludwig-Wucherer-Straße eine Galerie betreibt. Sie erzählt: "Vergangenen Mittwoch war es wie im Film. Die Schüsse und die Granate waren deutlich zu hören. An dem Döner gehe ich nicht vorbei. Ich war an der Synagoge, das reicht im Moment." Tröbner berichtet von einer Art Tourismus, den sie momentan in der Nähe des Tatorts erlebe und der sie abschreckt.

"Rechtsextreme Gewalt in Halle ist kein neues Problem"

Neben dem Schock geht der Blick aber auch nach vorne und die Menschen wünschen sich Konsequenzen – vor allem von der Politik. Weil sich der Täter über rechtsextreme Verbindungen radikalisiert hat und sie der Meinung sind, dass der Angriff nicht aus dem Nichts kam. Familienvater Markus Hanke sagt: "Das [rechtsextreme Gewalt – d.Red.] ist kein neues Problem in Halle. Das finde ich wichtig zu sagen. Es kommt jetzt immer so rüber, dass das nicht zu Halle gehört. Leider ist das nicht so. Es gibt viele Strukturen, die über Jahre gewachsen sind und gegen die nicht vorgegangen wurde – Identitäre oder radikale Burschenschaften. Ich finde, das muss klar benannt werden und es sollten Konsequenzen folgen."

"Mehrheit muss Farbe bekennen!"

Nicht nur Hanke glaubt, dass die Lichterketten der vergangenen Tage deshalb ein wichtiges Zeichen waren. Passant Thomas Mokosch sagt: "Die Leute stehen mehr zusammen. Ich finde es gut, dass viele Menschen an den Lichterketten teilnehmen. Man sieht vielen die Betroffenheit an. Aber viele wollen sich auch engagieren, damit so etwas nicht nochmal passiert." Und die Hallenser wissen, dass sie dafür auch selbst mit verantwortlich sind. Deshalb fordert eine Passantin: "Die schweigende Mehrheit muss jetzt Farbe bekennen. Auch bei Wahlen."

Doch klar ist auch, alleine können die Menschen an der Ludwig-Wucherer-Straße die rechtsextremen Tendenzen, die in den vergangenen Jahren in vielen gesellschaftlichen Bereichen an Einfluss gewonnen haben, nicht bekämpfen. Thomas Mokosch sagt deshalb: "Ich glaube, vielen ist bewusst, dass die Gefahr von rechts über viele Jahre nicht ernst genommen wurde. Zu wenige haben sich gekümmert. Und von der Politik wurde es zu stark verdrängt."

Glaubt man den Statements von Politikern wie Holger Stahlknecht, haben sie das Problem erkannt und wollen es angehen. Doch es wird dauern, bevor man abschätzen kann, ob den Worten auch tatsächlich Taten gefolgt sind. Und auch, bis die Lebensfreude wieder das Leben an der Ludwig-Wucherer-Straße bestimmt.

Quelle: MDR/olei

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. Oktober 2019 | 08:20 Uhr

17 Kommentare

Klaus am 17.10.2019

Die Menschen müssen zusammenrücken und Farbe bekennen, das ist ein wichtiger Ansatz. Rechtsextremisten müssen überall angegangen werden und die Politik darf auch im Netz keinen Spielraum zulassen, wo sich Hetze ausbreiten kann.

Klaus am 16.10.2019

Was ist denn das für eine unsinnige Forderung?
Unsere Kinder sind hier gut beschützt aufgewachsen.
Und wenn man die Attentäter rechtzeitig verhaftet, dann ist auch alles gut, insbesondere wenn man auch die Brandstifter wirksam bekämpft.
In Halle ist das leider nicht komplett gelungen. Ein Massaker von dem Rechtsextremisten konnte verhindert werden, aber dann hat sich der Verbrecher wahllos 2 andere Opfer ausgesucht. Das zeigt doch, wie bescheuert diese Verbrecher sind.
Jetzt hoffe ich, dass der so schnell nicht mehr frei kommt und das man wirksam gegen die Extremisten vorgeht.

Klaus am 16.10.2019

Wenn Sie den Mord im Fasanenhof meinen, da wurde sogar sehr umfangreich berichtet und für die Tochter des Mordopfers und zwei Frauen, die den Täter von seinem Vorhaben abbringen wollten, Geld gesammelt.
Dennoch ist das kein Vergleich zu einem geplanten Massenmord, der wegen glücklicher Umstände "nur" zu zwei Todesopfern führte.
Von daher vergleichen Sie Äpfel mit Birnen, aber dennoch wurde in beiden Fällen sehr umfangreich berichtet. Natürlich ist auch klar, dass nicht jede Zeitung über jeden Mord berichten kann. Aber dank Internet kann sich jeder mit Internetanschluss über jeden Mord informieren. Nach meiner Kenntnis gibt es kein Mord, über den nicht irgendwo berichtet wird.
Von daher ist Ihr Widerspruch mehr als unverständlich.

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