Ungarn Papstbesuch in Ungarn: Um Himmels Willen keine Politik!

29. April 2023, 10:00 Uhr

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre reist Papst Franziskus nach Ungarn – die nationalkonservative Regierung von Viktor Orbán freut sich demonstrativ über diese Ehre. Doch inhaltlich liegen der Pontifex und die ungarischen Rechtspopulisten häufig über Kreuz.

Bis Sonntag hält sich das Oberhaupt der Katholischen Kirche in Budapest auf. Und das bedeutet für die Menschen in der ungarischen Hauptstadt zunächst einmal den Ausnahmezustand. Ganze Stadtteile werden für den Papstbesuch abgesperrt, Kanaldeckel zugeschweißt, anliegende Gebäude und ihre Bewohner werden Sicherheitsüberprüfungen unterzogen, und das ganze Wochenende lang werden Polizeihubschrauber und -drohnen die Lage aus der Luft überwachen. Das Internetportal "444!" riet seinen Lesern in Budapest bereits dazu, das Wochenende einfach komplett zu Hause zu bleiben - oder die Stadt schon am Donnerstag für ein verlängertes Wochenende zu verlassen.

Die Regierung freut sich über den hohen Besuch

Aber es gibt auch diejenigen, die sich auf die Papstvisite freuen - etwa die Regierung. Regierungssprecher Zoltán Kovács erklärte auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Budapest, dass der zweite Papstbesuch binnen zwei Jahren dem Image des Landes diene. Dies sei auch ein "spiritueller Besuch", ergänzte der stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjén. Und die ungarische Präsidentin Katalin Novák twitterte an die Adresse des Papstes: "Wir Ungarn erwarten Sie mit sehr viel Liebe und Gebeten. Ich hoffe, wir können in Ungarn gemeinsam für Frieden, die Familie und die Erneuerung des Glaubens, für Hoffnung und Liebe beten." Zum zentralen Gottesdienst auf dem Kossuth-Platz vor dem Parlament werden Zehntausende Gläubige erwartet.

Auch Zsolt Bayer, eine regierungsnahe Medienpersönlichkeit, die vor allem für die unflätige Beschimpfung politisch Andersdenkender bekannt ist, freut sich auf den Besuch und rief die Menschen dazu auf, zahlreich zum zentralen Gottesdienst am Sonntagvormittag zu erscheinen. Das ist vor allem deshalb überraschend, weil der Fidesz-Parteigründer und persönliche Freund von Ministerpräsident Viktor Orbán den Papst in der Vergangenheit einen "dementen Greis oder Dreckskerl" genannt hatte, der "verrückt geworden" sei.

Der Papst vertritt andere "christliche Werte" als die Regierung

Denn der Papst und die ungarische Regierung liegen bei einigen Themen über Kreuz, etwa beim Krieg in der Ukraine, vor allem aber was den Umgang mit geflüchteten Menschen - egal, welchen Glaubens - angeht. So hatte Franziskus 2016 ein Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos besucht und dort der auf der Flucht Ertrunkenen gedacht. Vor wenigen Wochen empfing er Hunderte Geflüchtete im Vatikan und dankte dabei explizit jenen Menschen, die ihnen geholfen haben, nach Europa zu kommen. Auch in Budapest wird sich Franziskus mit Geflüchteten treffen. Die Regierung von Viktor Orbán dagegen hetzt seit Jahren vor allem gegen muslimische Flüchtlinge. Zudem hat Ungarn immer wieder die grundlegenden Rechte von Geflüchteten massiv verletzt - und ist dafür mehrfach rechtskräftig vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt worden.

Papst Franziskus in Budapest, 2021
52. Internationaler Eucharistischer Kongress im September 2021 in Budapest: Papst Franziskus begrüßt während der Abschlussmesse die Katholiken. Bildrechte: imago images/NurPhoto

In Ungarn haben sich jedoch nur wenige Katholiken gegen die rechtswidrige Linie der Regierung gestellt. Die meisten Bischöfe stützen Orbáns restriktive Flüchtlingspolitik - oder kritisieren sie zumindest nicht. Überhaupt gelten Ungarns Bischöfe - wie etwa Kardinal Peter Erdő, Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas von Ungarn, ähnlich wie viele Amtskollegen aus Polen - und anders als der Papst - als ausgesprochen konservativ. Auch Orbáns international kritisierte LGBTQI-feindliche Politik wird von den ungarischen Bischöfen gestützt. Deshalb werden auch die innerkirchlichen Gespräche während des Papstbesuches mit Spannung erwartet.

Katholizismus in Ungarn

Rund zwei Drittel der rund 9,7 Millionen Ungarn und Ungarinnen sind katholisch getauft. In einer Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2019 gaben rund 60 Prozent der Menschen an, katholisch zu sein. Bei der Volkszählung 2011 dagegen bezeichneten sich nur 39 Prozent als Katholiken. Die Religionsdaten, die eine Volkszählung im Herbst des vergangenen Jahres erhoben hat, wurden noch nicht veröffentlicht, Experten gehen aber davon aus, dass weniger als die Hälfte der Menschen in Ungarn einer Religionsgemeinschaft angehört. Der Trend geht auch hier zur Säkularisierung, sagt der Theologe und Religionswissenschaftler Andras Mate-Toth von der Universität Szeged der Nachrichtenagentur Kathpress: "Wie in anderen europäischen Staaten schrumpft die Volksreligiosität, und die Kirchen sind noch auf der Suche nach neuen Wegen der Glaubensweitergabe." (KNA)

Bloß keine Politik!

Aufgrund dieser Differenzen fordern Regierungspolitiker wie der stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjén, dass Besuch des Papstes nicht für parteipolitische Zwecke missbraucht werden dürfe. Dass die christlichen Überzeugungen des Papstes und die Vorstellungen der ungarischen Regierung von einem "christlichen Abendland" meilenweit auseinanderliegen, daran erinnert in Budapest derzeit eine Plakat- und Social-Media-Kampagne der christlichen Medienplattform "Szemlélek". Sie zeigt Zitate von Papst Franziskus zu verschiedenen Themen wie Homosexualität, den Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Manipulation der Medien oder Populismus. Zitate wie diese: "Die Bischöfe sollten sich mit demselben Sanftmut den Homosexuellen zuwenden, mit dem Gott sein Volk behandelt." Oder: "Eine der Illusionen des nationalen Populismus in Ländern mit christlicher Mehrheit besteht darin, dass er die christliche Zivilisation vor dem wahrgenommenen Feind schützt." In Ungarn wird der Papst bei seinem Besuch diesbezüglich wohl noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 29. April 2023 | 07:14 Uhr

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