neues Konzept Lebensmittel und Beratung: Jenaer Tafel erfindet sich neu

12. Oktober 2023, 13:45 Uhr

Im Frühjahr rutschte die Jenaer Tafel in eine schwere Krise. Mitarbeiter fanden heraus, dass der langjährige Geschäftsführer Vereinsgelder in sechsstelliger Höhe veruntreut hatte. Das brachte die Tafel finanziell ins Schlingern, von dem Vertrauensverlust ganz zu schweigen. Doch mittlerweile hat sich der Verein neu aufgestellt. Die Tafel will künftig sogar Sozialarbeit machen. Denn mit der zunehmenden Armut wächst auch der Bedarf.

Der zurückliegende Veruntreuungsskandal hat bei der Versorgung der Kunden keine Spuren hinterlassen. Täglich öffnet der Jenaer Tafelladen in Lobeda - die Regale sind gut bestückt. Strukturell aber ist kein Stein auf dem anderen geblieben.

Wichtigste Veränderung ist die enge Zusammenarbeit mit dem Regionalverband Weimar der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Die bezahlt zum Teil die neue Geschäftsführerin und hilft, die Verwaltung neu aufzubauen.

Wir wollen sicherstellen, dass es sowas, was es hier gegeben hat, nie wieder geben wird.

Manfred Müller

Die Kooperation macht laut dem neuen Vorstandvorsitzenden der Tafel, Manfred Müller, auch vor den Kassenbüchern nicht halt. Transparenz sei oberstes Gebot: "Wir lassen unsere Finanzen von den Profis des Awo-Regionalverbandes monatlich prüfen, wir lassen unsere Kassen nachzählen, denn wir wollen sicherstellen, dass es sowas, was es hier gegeben hat, nie wieder geben wird."

Neuer Vorstand, neues Konzept der Jenaer Tafel

Die Konsolidierung sei so gut wie abgeschlossen. Es gibt einen neuen Vorstand. Der Betrieb läuft wieder stabil. Auch Ehrenamtler aus den Reihen ukrainischer Flüchtlinge konnte die Tafel gewinnen. Das macht auch die Arbeit mit den ukrainischen Kunden einfacher.

Aus dieser mittlerweile gesicherten Position heraus entwickelt die Tafel gerade ein neues Angebot, das die Leistungen der Tafel gewissermaßen ganzheitlicher machen soll, wie Müller erzählt: "Die Leute kommen zu uns und erhalten ihre Lebensmittel. Unsere ehrenamtlichen Helferinnen bekommen dann mit, dass die Menschen Probleme haben, dass sie Sorgen mit ihren Kindern in der Schule haben, dass sie den Rentenantrag nicht ausfüllen können, dass sie mit irgendwelchen bürokratischen Schwierigkeiten überfordert sind."

Jenaer Tafel Vorstand Manfred Müller
Manfred Müller hat den Vorstand der Jenaer Tafel übernommen. Bildrechte: privat

Sozialarbeit als zweites Angebot

Die Tafel will daher künftig sozialarbeiterisch tätig werden, psychosoziale und Rechtsberatung anbieten. Derzeit machen das schon drei Studentinnen einmal wöchentlich auf ehrenamtlicher Basis. Mit der Awo zusammen sollen diese Angebote nun verstetigt und professionalisiert werden. Niederschwelliger geht es gar nicht, denn nicht nur Kunden sind armutsbetroffenen, auch viele Tafel-Mitarbeiter.

Und die Kundschaft wächst. Rund 1.000 sind es zur Zeit: zumeist junge Familien, Chronisch-Erkrankte und Flüchtlinge und Frauen mit winzigen Renten. Vor allem die Zahl letzterer nimmt durch die aktuelle Verrentungswelle zu. Die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise fressen bei den Armutsbetroffenen das kleine Monatsbudget fast komplett auf, weiß Manfred Müller:

"Das sind wahrscheinlich 70-80 Prozent der monatlichen Ausgaben, wenn es reicht. Diese Menschen hat es am härtesten getroffen, trotz der Erhöhung des Bürgergeldes und der Renten. Das heißt, diese Leute stehen schlechter da als noch vor ein oder zwei Jahren."

Bürgergelderhöhung und Kindergrundsicherung helfen nicht gegen Armut. Deswegen ist eine stabile Tafel so wichtig. Auch wenn sie, wie Müller gerne sagt, sich selbst am liebsten abschaffen würde, eine Tafel nicht notwendig sein sollte.

Ziel: Eingliederung in Awo Weimar

In Kürze will die Tafel den letzten Jahresabschluss unter Dach und Fach bringen. Und damit den Weg frei machen für eine Eingliederung in den Regionalverband Weimar der Awo. Eine Zäsur in der mehr als 30-jährigen Tafel-Geschichte, die 1995 mit einem mit Lebensmitteln bestückten Tapeziertisch begann. Der Verein wird bald überflüssig sein. Manfred Müller ist dann 70 Jahre alt und will endlich in den wohlverdienten Ruhestand. Die Tafel aber bleibt.

MDR (ol,dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 11. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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