Klimawandel Nordhausen: Das leise Sterben der Stadtbäume

16. Februar 2023, 08:18 Uhr

Geht es um sterbende Bäume, richtet sich der Blick meist auf den Harz. Doch auch in Städten leiden die Pflanzen unter der Trockenheit. Durch intensive Pflegearbeiten ist der Verfall der Bäume hier nur unauffälliger. Ein Blick nach Nordthüringen.

Vor dem Theater Nordhausen fiel im Sommer 2022 aus mehreren Metern Höhe etwa eine Tonne Holz auf den Boden. Es gehörte zur Baumkrone der Theaterbuche. Ein alter Baum der Stadt, der dort seit einhundert Jahren wächst.

Der Baum steht zwischen dem Theatereingang und einem griechischen Restaurant. Es war reiner Zufall, dass an diesem Sommertag niemand von den Hunderten Kilogramm Gewicht erschlagen wurde. Als das Geäst abbrach, hatte es noch grüne Blätter getragen. Trotzdem gab ein großes Stück der Baumkrone der Schwerkraft nach. Ganz plötzlich, ohne Vorwarnung.

Beim Thema Baumsterben richtet sich der mitteldeutsche Blick schnell auf den Harz. Die sterbenden Wälder und nackten Stämme des Mittelgebirges erschüttern Wanderer seit Jahren. Doch das Baumsterben hat spätestens mit dem trockenen Sommer von 2018 auch die Städte erreicht. Etwa Nordhausen, die Stadt am Hang des Südharzes.

Hier ist das Revier des städtischen Baumkontrolleurs Dirk Küchenthal. Im Frühjahr 2018 hatte Küchenthal noch keinen Alarm geschlagen. Niemand tat das, im Frühling fiel noch ausreichend Regen. Doch bei seinen Kontrollgängen durch die Stadt bemerkte er etwas Ungewöhnliches.

Dazu muss man wissen: Dirk Küchenthal fasst seine Bäume gerne an. Er tippelt mit den Fingernägeln auf der Rinde, er kratzt leicht darüber und fängt mit seiner Handfläche die Vibrationen des Schonhammers auf, mit dem er den Stamm abklopft. Jeder gehe da anders vor, sagt er, aber so erkenne er Auffälligkeiten. Bereits in den ersten Sommermonaten spürte er mit den Händen, dass die Rinde deutlich zu warm war.

"Schon zehn Uhr am Vormittag wehte ein warmer Wind durch die Stadt, wie ein Föhn, der die Stämme erhitzte", sagt Küchenthal. Schädlich für die Wachstumsschicht unter der Rinde, dem Kambium, sei dies gewesen. Für ein gesundes Wachstum müsse das Kambium feucht bleiben.

Schon zwischen August und September 2018 starben die ersten Großbäume. In der Lebenszeit mancher dieser Pflanzen heißt das: wie von einer Sekunde auf die andere. Spitzahorn und Buchen gehörten zu den ersten Arten, die aufzeigten, was da noch kommen sollte. Doch durch die trockenen Folgejahre sind mittlerweile alle Baumarten betroffen.

Baumsterben im Stadtpark

Dirk Küchenthal läuft durch den Nordhäuser Stadtpark. An dessen Rand fließt die Zorge so gerade wie mit einem Lineal gezogen. In einer umzäunten Anlage mitten im Park leben Tiere wie Damwild, Esel oder Ziegen. Etwa 1.700 Bäume wachsen hier. Ausgerechnet in dieser grünen Oase häufte sich das Baumsterben in den vergangenen Jahren.

Der Stadtpark Nordhausens zeigt anschaulich, wie das städtische Baumsterben im Klimawandel abläuft. Selten ist Trockenheit alleine dafür verantwortlich. Die Extreme sorgen nur dafür, dass andere nachteilige Faktoren ihre volle Wirkung entfalten. Im Falle des Stadtparks ist dies der Standort.

Nordhausens Altvordere hatten ein ehemaliges Überschwemmungsgebiet der Zorge zu ihrem Parkgebiet erkoren. Das war 1907. Damals war das nachvollziehbar, denn das Gelände war unbrauchbar. Ein karger Kiesboden. "Die Humusschicht ist ausgerechnet hier sehr dünn. In diesem Boden stecken wenig Nährstoffe", sagt Küchenthal.

Aus heutiger Sicht wirkt der Standort wie eine historische Fehlentscheidung. Bäume hatten es wegen des Bodens hier nie leicht. Mit dem Klimawandel kam die Trockenheit hinzu, die die schwächeren Pflanzen aussortierte. In den vergangenen fünf Jahren musste die Stadt hier 140 Bäume fällen lassen.

Küchenthal steht neben drei dünnen Bäumen, die von einem Holzrahmen gehalten werden. Die Rinde ist gelb angestrichen. Eine Art permanente Sonnencreme, um die zarten Pflanzen vor der Sonne zu schützen. Nachpflanzungen sind ein heikles Thema für den Baumkontrolleur.

Zu viele Menschen glaubten demnach, dass jeder abgestorbene oder gefällte Baum 1:1 nachgepflanzt werden könne. Auf so ungeeignetem Boden wie dem des Stadtparks sei das nicht so einfach. "Wir können nur da Bäume nachpflanzen, wo sie auch eine Chance haben zu überleben. Und selbst dann schaffen sie das nur mit aufwendiger Starthilfe wie einem speziellen Gemisch für die Wurzeln und einer Stabilisierung", sagt er.

Wir können nur da Bäume nachpflanzen, wo sie auch eine Chance haben zu überleben.

Baumkontrolleur Dirk Küchenthal

Nordhausen: 600 Bäume mehr gefällt

Kommunen sind per Gesetz dazu verpflichtet, "Verkehrssicherheit" herzustellen. Bedeutet, niemand sollte in einer Stadt durch einen herabfallenden Ast verletzt werden. Deshalb beschäftigen Städte wie Nordhausen eigene Baumkontrolleure.

Dirk Küchenthals Arbeit hat sich durch den Hitzesommer 2018 verändert. In den vergangenen fünf Jahren habe man 600 Bäume mehr fällen müssen als in den Jahren davor. Um die vielen Bäume überhaupt rechtzeitig prüfen zu können, bevor sie zur Gefahr werden, mussten die Kontrollzyklen kürzer werden. "Wir können immer weniger Entwicklungspflege für die Bäume leisten, sondern beschäftigen uns fast nur noch mit der Verkehrssicherung", so Küchenthal.

Baumsterben: Die Kosten des Klimawandels

Durch Klimawandel und das Baumsterben steigen für die Kommunen die Kosten, wie das Beispiel Sondershausen zeigt. Andreas Fritsch ist Mitarbeiter im "Sachgebiet Grün". Er fing 2008 an, im Amt zu arbeiten. "Die Kosten haben sich mehr oder weniger verdoppelt im vergangenen Jahrzehnt", sagt er.

Damals hatte die Behörde für Straßenbäume ein Pflegebudget von 35.000 Euro. Heute stehen allein für die Straßenbäume 80.000 Euro im Haushalt der Kreisstadt. Dazu kommen die Gelder für die Pflanzen auf den großen Parkanlagen in Sondershausen. Für die Grünflächenbäume stiegen die Kosten von 25.000 Euro auf 42.000 Euro im vergangenen Jahr.

Insgesamt bezahlt die Stadt für Baumpflege von ehemals 70.000 Euro nun 155.000 Euro. "Wir haben zwar in der Zwischenzeit noch weitere Bäume übernommen, aber so ein Anstieg lässt sich dadurch nicht erklären. Das ist eine Folge der Trockenheit", so Fritsch.

Das Theater in Nordhausen mit einem Baum davor.
Eine Tonne Holz brach im Sommer 2002 aus der hundertjährigen Theaterbuche. Der Baum soll im Frühjahr gefällt werden. Bildrechte: MDR/Armin Kung

Nordhausen: Theaterbuche soll gefällt werden

Für Nordhausens Theaterbuche kommt indes jede Budget-Erhöhung zu spät. Der alte Baum muss noch in diesem Frühjahr gefällt werden. "Durch meine Arbeit habe ich natürlich ein rationales Verhältnis dazu, aber um so einen historischen Baum tut es mir wirklich leid."

MDR (ls)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 11. Februar 2023 | 18:45 Uhr

7 Kommentare

augu am 16.02.2023

Guter Artikel. Man merkt, dass der Autor viel Fachkenntnisse zu dem Thema hat, über das er schreibt. Gilt leider nicht generell für Artikel zu Sachthemen (wenn es nicht nur um eine Meinung geht)

Ralf G am 16.02.2023

Interessanter Artikel. Die Klimaveränderung lässt die frühere, ungünstige Standortwahl offenbar werden.
Sollte nicht durch geeignete Baumauswahl, verbunden mit umfangreicher Bodenverbesserung bei Neupflanzungen eine Erleichterung und auch langfristig eine Kostenreduzierung erreichbar sein? Es wäre schade um diesen Park.

Ostthueringerin am 16.02.2023

Ich verstehe es einfach nicht, warum in der Vorschau der meisten Artikel „mit Video“ steht, die verlinkten Videos dann aber mit dem Titel konkret nichts zu tun haben. Für mich ist das clickbait, eine Irreführung des Lesers. Das Videosymbol wird in der Vorschau auf ein Bild des Artikels gelegt. Kann man das nicht mal ändern?
Den Artikel an sich finde ich informativ und gut geschrieben.

Mehr aus der Region Nordhausen - Sangerhausen - Wernigerode

Mehr aus Thüringen

Menschen braten Rühreier auf riesigem Feuer 3 min
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk