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Bildrechte: MDR, Jens Schlueter/ picture alliance/dpa | Frank Hammerschmidt

Umfrage Raus aus der Bequemlichkeit: Kommentar zum Sachsen-Monitor

23. Januar 2024, 18:35 Uhr

Die Ergebnisse des Sachsen-Monitors kommen nicht von ungefähr, meint MDR SACHSEN-Politikredakteurin Daniela Kahls. Und doch sind sie erschreckend und ein deutliches Zeichen, dass sich etwas ändern muss. Auch in der Art und Weise, mit Verschwörungsmythen und Parolen umzugehen. Ein Kommentar.

Sind die Ergebnisse des Sachsen-Monitors eine Überraschung? Nein – wenn man mit offenen Augen und Ohren in Sachsen unterwegs ist, dann nicht. Dass da was ins Rutschen geraten ist in puncto Vertrauen in den Staat und in die Politik, ist nicht zu übersehen. Und letztlich angesichts des Agierens der Berliner Ampel teilweise auch zu verstehen.

Marionetten in der Regierung?

Sind die Ergebnisse erschreckend? Ja, trotz allem. Wenn mehr als die Hälfte der Befragten meinen, dass Politiker dem Volk die Wahrheit verschweigen und rund 40 Prozent glauben, dass Politiker nur Marionetten von dahinterstehenden Mächten sind, kann ich nur staunen. Dass solche verschwörungstheoretischen Ansätze so weit verbreitet sind, hätte ich tatsächlich nicht gedacht.

Aber in gewisser Weise bestätigen die Ergebnisse doch auch mein Bauchgefühl. Ich hatte meine Probleme damit, wenn bei Protesten in den vergangenen Wochen immer wieder von rechter Unterwanderung die Rede war. Und nun - leider - belegt der Sachsen-Monitor: Über das Stadium der Unterwanderung sind wir hinaus. Es ist nicht mehr so, dass rechtsextreme Splittergruppen, wie früher die NPD, versuchen, mit ihren ausländerfeindlichen, antisemitischen oder verächtlich machenden Positionen von politischen Gegnern an Stammtischen konspirativ in irgendwelchen Gaststätten auf dem Land zu punkten.

Verschwörungsmythen in der Gesellschaft

Nein, diese Parolen und Positionen sind mittlerweile in Teilen der vielbeschworenen und irgendwie diffusen Mitte angekommen. Wie gesagt: Fast die Hälfte der Befragten ist überzeugt, dass Politiker nur Marionetten sind. Dass Juden heute versuchten, aus ihrem Schicksal während der Nazi-Zeit Vorteile zu ziehen, glaubt ein Viertel der Befragten. 30 Prozent meinen, dass ihr persönliches Lebensumfeld durch viele Ausländer gefährlich überfremdet sei.

Dazu dieser herbe Vertrauensverlust und das zunehmende Gefühl, dass es in Deutschland ungerecht zugeht. Auch ich habe in den vergangenen Wochen in Gesprächen immer wieder den Satz gehört: Schlimmer als jetzt kann es ja nicht mehr kommen.

Demonstration Ami go home
Gefühlte "Überfremdung" oder Verschwörungstheorien sind längst alltäglich auf den Demos in Sachsen. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO/xcitepress

Gesellschaft unter Stress

Der Sachsen-Monitor zeichnet das Bild einer Gesellschaft unter Stress, die massiv das Vertrauen verliert. Vertrauen in die Institutionen der Demokratie und deren Funktionieren, aber auch in andere Menschen. Immerhin sagen 64 Prozent, dass man im Umgang mit anderen Menschen nicht vorsichtig genug sein kann. Und nun die entscheidende Frage: Was zur Hölle soll man mit diesen Ergebnissen machen? Wie darauf reagieren? Dass es angesichts der Komplexität der Probleme keine einfachen Antworten darauf gibt, dürfte klar sein.

Gute Politik ist schwer

Die Opposition macht es sich zu leicht, wenn sie sagt, man müsse einfach bessere Politik machen und dass das Problem vor allem die Ampel-Regierung sei. Zum einen trägt die Ampel auch schwer am Erbe der Merkel-Jahre, was wiederum nicht unbedingt für eine große Glaubwürdigkeit der CDU sorgt, wenn sie derzeit auf die Ampel schimpft. Und zum anderen ist gute Politik, die für Wohlstand und Sicherheit für alle in einer so instabilen Weltlage sorgt, eine Herkules- oder vielleicht sogar Sisyphos-Aufgabe. Natürlich: Gute, bürgernahe Politik soll und muss das Ziel sein, dafür müssen wir streiten. Aber diese gute Politik wird es nicht einfach durch ein entsprechendes Kreuz bei der Wahl geben, dafür ist die Sache zu kompliziert.

Darauf zu hoffen, dass nach den nächsten Wahlen also alles besser wird und die Stimmung dann schon auch wieder drehen wird, kann es also nicht sein.

Gesellschaft in der Pflicht

Bleibt also, dass extremistische Narrative und Positionen, dass Misstrauen und die Angst immer normaler werden. Das zeigt der Sachsen-Monitor und das erlebt jeder von uns in seinem Alltag. Ich bin davon überzeugt, dass uns das auf keinen guten Weg führt. Angegangen werden, kann das aber wohl nur aus der gesamten Gesellschaft heraus. Jeder einzelne ist da tatsächlich in der Pflicht. Und ich gestehe, dass mich das auch ratlos macht. Denn wie so viele habe ich tatsächlich im Privaten immer öfter keine Lust, über Politik zu streiten. Bei Familienfeiern oder bei geselligen Runden im Sportverein lasse ich das Thema lieber außen vor, damit die Stimmung nicht kippt. Einfach mal einen Abend lang ein bisschen Frieden und Lachen und nicht schon wieder Probleme wälzen.

Raus aus der Bequemlichkeit

Angesichts der Ergebnisse des Sachsen-Monitors kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass diese Bequemlichkeit wohl nicht der richtige Weg ist. Ob ich mich trotzdem bei der nächsten Gelegenheit aufraffen kann, zu widersprechen, wenn berechtigte Kritik (und davon gibt es derzeit viel) mit Verschwörungsideen verbunden wird? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, will es jedoch versuchen.

Ich will auch versuchen, nicht nur zu widersprechen, sondern auch emotional zugewandt zu bleiben, wenn eine Freundin demnächst mal wieder sagt, die Politiker seien doch alle Verbrecher und wir Journalisten würden doch eh lügen: dem Auseinanderdriften im Kleinen entgegentreten.

Anlass zur Zuversicht

Schließlich wollen wir doch alle weiter friedlich in unserem Land zusammenleben, oder? Wenn bisher in privaten Runden dann doch mal über Deutschland und den vermeintlichen Niedergang geschimpft wurde, kam schon mal die Frage auf, wo man denn stattdessen leben wolle. Und zumindest in dem Punkt sind sich dann doch meistens alle einig: In Deutschland und auch in Sachsen geht es uns eigentlich sehr gut - so gut, wie in kaum einem anderen Land auf der Welt. Lasst uns in dem Sinne mit Wohlwollen den anderen gegenüber dafür eintreten, dass das auch so bleibt.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 23. Januar 2024 | 15:00 Uhr

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