Stadtgeschichte "Unschätzbarer Teil der Leipziger Geschichte": Jüdische Fotosammlung übergeben

07. November 2022, 16:30 Uhr

Nach langem Ringen um seine Zukunft ist am Montag die Fotosammlung von Abram Mittelmann der Öffentlichkeit präsentiert worden. Die fast 2.000 Negative des jüdischen Leipziger Fotografen werden nun ausgewertet.

Übergabe einer jüdischen Fotosammlung (v. li.): Erbin Nadia Vergne, Achim Beier (Archiv Bürgerbewegung Leipzig), Dr. Anselm Hartinger (Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig)
Übergabe der Fotosammlung von Abram Mittelmann (v. li.): Erbin Nadia Vergne, Achim Beier (Archiv Bürgerbewegung Leipzig), Dr. Anselm Hartinger (Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig). Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Sprung in die Gegenwart war ebenso profan wie deutlich: In einem gelben Post-Paket lagerte ein Teil einer historischen Fotosammlung, die jüdisches Leben in Leipzig dokumentiert. Dahinter saßen Erbin Nadia Vergne und Anselm Hartinger, der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums von Leipzig. Beide sind erleichtert und glücklich.

Nach jahrelangen Diskussionen und Verhandlungen geht die Sammlung, die Aufnahmen aus den Jahren von 1905 bis 1938 enthält, in treuhänderischer Verwaltung an das "Archiv Bürgerbewegung Leipzig". Das Besondere daran: Es handelt sich um Aufnahmen eines professionellen Fotografen. "Photo-Mittelmann" war ein Atelier und eine Fotohandlung und saß im Peterssteinweg 15, heute eine Straße im Leipziger Zentrum-Süd.

Erbin Nadia Vergne: "Mir fällt ein Stein vom Herzen"

Hartinger war die Freude anzusehen: "Das ist sehr bewegend. Diese Fotos sind ein unschätzbarer Teil der Leipziger jüdischen Geschichte. Es war immer klar, dass zur Dokumentation jüdischen Lebens in Leipzig noch wichtige Quellen fehlen. Und immer ging es dabei um die Sammlung Mittelmann. Wie können wir diesen unschätzbaren Bestand retten und sichern?". Die aus Paris angereiste Nadia Vergne, Enkelin von Abram Mittelmann, sagte: "Das ist wunderbar. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Nicht alle Fotoplatten sind digitalisiert. Nun werden wir die Arbeit wieder aufnehmen. Ich freue mich sehr, dass die Arbeit meines Großvaters wieder wertgeschätzt wird."

Acht Postkisten enthalten 1.937 Negative von Fotos

Insgesamt handelt es sich um 1.937 sogenannte Glasplattennegative, die in der Regel zwei Bilder enthalten. Acht Postkisten sind es insgesamt. Die Sammlung war 1987 auf einem Dachboden entdeckt worden. Wie lange sie dort schon lag? Schwer zu sagen. Abram Mittelmann war im Dezember 1938 aus Leipzig geflüchtet, sein Sohn Siegfried, der Vater von Nadia, sollte das Fotoatelier auflösen. Er musste im August 1939 fliehen. "Es ist sehr versöhnlich, dass seine Tochter Nadia nun vor den Fotos sitzt", sagt Achim Beier vom Archiv Bürgerbewegung Leipzig.

Alles andere als einfach gestaltete sich die Übergabe der Sammlung an das Archiv. Die Fotografin Gudrun Vogel, der die Fotos 1987 übergeben worden waren, sah sich zwar nicht als Finderin, aber dennoch als treuhänderische Verwalterin der Fotos. "Viele Teile sind zusammengekommen", beschreibt Beier den Einigungsprozess. Museumsdirektor Hartinger denkt: "Die Vernunft hat gesiegt, die Entschlossenheit aller Beteiligen hat zum Ergebnis beigetragen."

"Ein mehr als 30-jähriger Kampf erfolgreich zu Ende gegangen"

Versöhnliche Worte fand Küf Kaufmann von der Israelitischen Gemeinde in Leipzig: "Als ich erfahren habe, dass es eine Einigung gibt, war ich voll Freude. Das hat auch meine Frau festgestellt. Ein mehr als 30-jähriger Kampf ist erfolgreich zu Ende gegangen. Ein Teil der jüdischen Geschichte ist zurück in Leipzig. Ich denke, wir müssen großzügig genug sein, wir müssen auch lobende Worte finden für die, die diese Kiste aufbewahrt haben."

Nachdem sich Hartinger "große Sorgen" um den Zustand der Sammlung gemacht hatte, gelte es nun zunächst, für eine standesgemäße Lagerung für die empfindlichen Negative zu sorgen: "Im Winter ist das kein Problem, wir haben ein halbes Jahr Zeit, uns darüber Gedanken zu machen." Zudem soll die Sammlung komplett digitalisiert werden.

Hoffen auf Landesausstellung 2026

Initiiert werden soll, so Beier, ein runder Tisch, der sich um die wissenschaftliche Aufarbeitung und die öffentliche Darstellung kümmern soll. Vorstellen könnte man sich die Umsetzung einer bislang lediglich als Idee existierenden Landesausstellung 2026 zur "jüdischen Geschichte".

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MDR (cke)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 07. November 2022 | 16:30 Uhr

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