Symbolbild: Junge Menschen verschiedener Ethnien diskutieren an einem Tisch mit Papieren.
Im Dachverband sächsischer Migrantenorganisation (DSM) haben sich viele Initiativen aus verschiedenen Nationen und Konfessionen mit einer einheitlichen Stimme zusammengeschlossen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Insolvenz Migranten-Verband sieht sich als Bauernopfer der sächsischen Politik

09. Mai 2024, 18:35 Uhr

Im Dachverband sächsischer Migrantenorganisation waren bis vor kurzem 66 Initiativen organisiert, die sich um die Teilhabe und Integration von Migrantinnen und Migranten kümmern. Doch von heute auf morgen musste der Verband Insolvenz anmelden, weil Fördermittel zurückgefordert und keine neuen bewilligt wurden. Der Verein macht auch die Politik dafür verantwortlich.

Die Sächsische Aufbaubank (SAB) hat dem Dachverband sächsischer Migrantenorganisation (DSM) 490.000 Euro Fördermittel für 2024 gestrichen. Außerdem verlangt die SAB 153.000 Euro aus den Jahren 2015 bis 2019 zurück, die im Nachhinein als unzulässig eingestuft wurden, wie der bisherige Geschäftsführer Özcan Karadeniz MDR SACHSEN sagte. Der Verband habe deshalb einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt, um den ehrenamtlichen Vorstand zu schützen. "Ein solches Verfahren endet bei Vereinen in der Regel mit der Liquidierung des Trägers."

Begründet wurde die Streichung der Fördermittel für die Projekte in elf sächsischen Landkreisen laut Karadeniz mit "angeblich drohenden Liquiditätsengpässen" des Verbandes, weil er mehr als 150.000 Euro zurückzahlen muss. Gegen die Rückforderung hat der Verein Widerspruch eingelegt.

Kritik des Landesrechnungshofes an Fördermittelvergabe

Hintergrund der Insolvenz und der zurückgeforderten Fördermittel ist die Kritik des Landesrechnungshofes an der Fördermittelvergabe des Sozialministeriums in Sachsen. In dem Sonderbericht des Landesrechnungshofes war die Umsetzung von Förderrichtlinen gerügt und dem Ministerium rechtswidriges Verwaltungshandeln in außergewöhnlichem Maße attestiert worden. Bestimmte Vereine seien aus politischen Gründen bevorzugt worden und es gebe Unklarheiten bei der Bezahlung der Mitarbeiter. Der zuständige Staatssekretär Sebastian Vogel war daraufhin in den Ruhestand versetzt worden. Belege für persönliches Fehlverhalten von Ministerin Petra Köpping (SPD) fanden die Rechnungsprüfer nicht. Die AfD hat im Landtag einen Untersuchungsausschuss durchgesetzt, der die Fördermittelvergabe prüfen soll.

Die unmittelbare Folge der Insolvenz für den Dachverband der Migranten: Acht Mitarbeiter wurden Ende April gekündigt. Die Homepage ist weitgehend abgeschaltet. Warum die Sächsische Aufbaubank die Mittel für den Dachverband gestrichen hat bzw. zurückverlangt? SAB-Sprecher Volker Stößel will sich nicht zu den Gründen äußern, sagt aber: "Die Arbeit des DSM wurde nicht ausgelöscht". Er verweist darauf, dass für 2024 gut sieben Millionen Euro für Integrationsprojekte bewilligt wurden, darunter auch Maßnahmen von Migrantenselbstorganisationen. 

Das Sozialministerium will sich nicht zu dem laufenden Insolvenzverfahren äußern, lobt aber die Arbeit des DSM. "Er war für das Sozialministerium ein wichtiger Partner bei allen Abstimmungen für eine erfolgreiche Integrationsarbeit." Es bleibe abzuwarten, wie sich das Insolvenzverfahren auswirke und inwieweit sich die Selbstorganisationen künftig aufstellen würden.

Dachverband: Migranten von der Politik im Stich gelassen

Ob der Dachverband eine Zukunft in Sachsen hat, kann der bisherige Geschäftsführer Özcan Karadeniz nicht sagen. Er sieht den Verein aber massiv beschädigt. "Viele Migrantinnen und Migranten fühlen sich von der Politik im Stich gelassen und als vermeintlich schwächstes Glied in der Kette als "Bauernopfer"." Dennoch will er einen Neuanfang versuchen. "Deshalb sind wir nun dabei, zunächst einen Förderverein zu gründen." Ziel sei es, bis Ende 2024 einen neuen Dachverband für Migrantenorganisationen in Sachsen zu gründen.

Beunruhigend sei auch, dass die AfD im Landtag einen Untersuchungsausschuss einberufen habe und damit die Unterlagen aus dem Rechnungshofbericht zu 136 Projekten in Sachsen ungeschwärzt dem Ausschuss übergeben werden sollen. "Für viele Träger ist beunruhigend, dass dieses sensible personenbezogene Material in die Hände von Neonazis und Extremisten geraten könnte," so Karadeniz.

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MDR (kbe)

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