Dauerleihgabe Halle: Kunstmuseum Moritzburg erhält zwei neue Kirchner-Gemälde
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Von Ulrike Thielmann, MDR KULTUR-Kunstkritikerin
01. Dezember 2023, 10:51 Uhr
Die Freude im Kunstmuseum Moritzburg in Halle ist groß: Das Haus hat zwei Gemälde des "Brücke"-Künstlers Ernst Ludwig Kirchner als Dauerleihgabe erhalten. Die Bilder aus Privatbesitz werden ab Freitag in der Dauerausstellung präsentiert. Das Ölgemälde "Platz in Halle" (1915/16) zeigt eine Straßenszene im expressionistischen Stil. Es wird gemeinsam mit dem Werk "Badende zwischen Steinen" (1912) ausgestellt. Beide Gemälde sind der breiten Öffentlichkeit bislang nicht bekannt.
- Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle hat zwei neue Kirchner-Gemälde in seiner Sammlung.
- Die Dauerleihgaben stammen aus Privatbesitz und wurden zuvor nur selten in Ausstellungen gezeigt.
- Ernst Ludwig Kirchners Gemälde "Platz in Halle" zeigt eine expressionistische Stadtansicht von Halle.
Halle-Kundige erkennen die Straßenszene sofort: das alte Hauptpostamt am heutigen Curie-Platz mit Blick auf eine große Blumenrabatte. Ernst Ludwig Kirchner inszenierte 1915/16 seine Stadtansicht von Halle zudem mit Palmen und seinen länglichen Figuren, die in dieser Phase seines Werks für den "Brücke"-Maler typisch sind. Warum er die gesamte Straßenszenerie in ein fast absinthartiges Grün tauchte, wird die weitere Kunstforschung zeigen. Als Komplementärfarbe wählte Kirchner rot.
Thomas Bauer-Friedrich, Direktor der Moritzburg, erläutert: "Alle haben gesagt: In Halle gab es doch noch nie Palmen! Aber eine historische Postkarte von 1914 zeigt vor der Hauptpost eine große Palme, mit einer rotblühenden Bepflanzung darunter". Kirchners Gemälde sei typisch für den Expressionismus, so der Direktor. "Diese pathos-aufgeladene Überhöhung, mit Farbe und Formen zu arbeiten. Und dann kommt natürlich auch über diesen roten Himmel – es ist die Zeit des Ersten Weltkrieges – so ein bisschen Zeitstimmung mit."
Lücke zu expressionistischer Kunst wird verkleinert
Von diesem Freitag an wird Kirchners Gemälde "Platz in Halle" sowie ein weiteres des Künstlers, "Badende zwischen Steinen" von 1912, in der Dauerausstellung der Moritzburg präsentiert. Beide Gemälde besitzen einen Wert im jeweils siebenstelligen Euro-Bereich.
Thomas Bauer-Friedrich strahlt über seinen neuesten Coup, der Lücken in Sachsen-Anhalts Landeskunstmuseum zu expressionistischer Kunst schließt. Einerseits ging diese 1937 durch die Aktion "Entartete Kunst" verloren, wurde durch die Kunsthändler der Nazis verscherbelt und befindet sich heute teils außerhalb Europas. Andererseits platzte 2016 ein Deal mit dem Sammler Herman Gerlinger, der der Moritzburg 2004 über 900 Gemälde, Grafiken und Skulpturen von "Brücke"-Künstlern als Dauerleihgabe übereignet hatte.
Umso glücklicher ist der Direktor jetzt: "Das ist eine größere Sensation". Es gebe ja mit Kirchners "Der rote Turm" eine weltberühmte Ansicht von Halle. Bislang habe das große Publikum nur von diesem Kirchner-Werk mit Halle-Bezug gewusst.
Das ist eine größere Sensation.
Kirchner-Gemälde stammen aus Privatbesitz
Die Dauerleihgeber der beiden Kirchner-Gemälde wollen nicht genannt werden. Es handelt sich um die Erben der Jenaer Kunstsammler Irene und Rudolf Eucken, die die Stadt bereits in den 1920er-Jahren Richtung Westen verließen. Bis in die heutigen Tage hingen die Bilder in den privaten Räumen der Familie und wurden nur selten für Kunstausstellungen verliehen. Sogar die Rahmen stammen noch von Kirchner.
"Er hat in den verschiedenen Phasen seines Schaffens immer auch ganz eigene Entwürfe für die Rahmungen seiner Bilder gemacht, und die haben sich selten bis in unsere Zeit, also im Originalzustand 1:1, erhalten", sagt Thomas Bauer-Friedrich. Der Rahmen sei zu 100 Prozent noch original. Das Einzige, was nicht mehr original sei, sei eine bronzefarbene Fassung.
Bauer-Friedrich freut sich besonders, dass Kirchners Gemälde "Platz in Halle" einen Bezug zur Stadt aufweist. Zuvor hieß das Gemälde "Straße in Königstein". Doch durch Recherchen in den Archiven hat der Direktor den Halle-Bezug herstellen können: "Es gibt ein Skizzenbuch, wo exakt diese Platzsituation auch von Kirchner gezeichnet wurde. Und Gott sei Dank hat meine Kollegin vom Berliner Kirchner-Museum, Katharina Beisiegel, mir dann das gesamte Skizzenbuch digital zukommen lassen, weil sie nicht wusste, ob da noch mehr relevantes Bildmaterial drin ist, für dieses Gemälde. Und man blättert einmal um, dann hat er auf der nächsten Seite genau den Gegenblick, hinauf zur Oper, skizziert."
Halle-Bild ist ein Doppelgemälde
Und noch eine Dimension birgt Kirchners Halle-Bild – auf der Rückseite. Es handelt sich nämlich um ein Doppelgemälde. Dreht man das Bild um, sind, auf dem Kopf stehend, Kirchners "Drei Badende um rosa Stein" von 1913 zu sehen. Sie wird die Moritzburg in nächster Zeit in einer eigenen Präsentation vorstellen. Auch jenes Bild ist der Öffentlichkeit bislang unbekannt – Halle im Kirchner-Glück!
Redaktionelle Bearbeitung: lig
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 01. Dezember 2023 | 07:40 Uhr