Demonstration von Extinction Rebellion
Extinction Rebellion ist in mehreren deutschen Städten aktiv. In Halle ist der Protest allerdings eingeschlafen. (Archivbild) Bildrechte: Extinction Rebellion

Studierende schreiben für den MDR Wenn Aktivismus stirbt: Warum Extinction Rebellion in Halle nicht mehr aktiv ist

11. Dezember 2022, 11:22 Uhr

Nach drei Jahren Aktivismus ist erst einmal Schluss mit Extinction Rebellion in Halle. Die globale Klimabewegung, die mit Blockaden und künstlerischen Aktionen die Klimapolitik verändern möchte, ist in der Salzstadt nicht mehr aktiv. Ehemalige Engagierte berichten, wie es dazu gekommen ist und was es benötigt, damit aktivistische Gruppen lebendig bleiben. Ein Gastbeitrag eines Studenten aus Halle.

Ein Mann mit Bart schaut in die Kamera
Bildrechte: Mathis Schneider

Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" im Sommer 2022 in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.

Ein Banner wird von den Hausmannstürmen abgelassen und flattert über dem Marktplatz von Halle. Unten auf dem Asphalt liegen etwa 40 Menschen und stellen sich vor einer Festbühne tot. So sah die erste Aktion von Extinction Rebellion (XR) in Halle aus. Das war Ende Juni 2019 der furiose Start. Jetzt, drei Jahre später, ist die Ortsgruppe inaktiv. Was ist passiert?

Marco, Programmierer aus Halle, war auf den Hausmannstürmen dabei und hat das Banner nach oben geschmuggelt. Als die Ortsgruppe sich 2019 mit rund zwölf Personen gründet, ist von Beginn an am Start. "Wir hatten schnell eine gute Truppe zusammen", erinnert er sich. Extinction Rebellion ist für ihn zu diesem Zeitpunkt "die ernsthaftere oder erwachsene Version" der Klimabewegung Fridays for Future (FFF), die etwa zur gleichen Zeit mit ihren Schulstreiks startet. Extinction Rebellion will Aufmerksamkeit auf die Klimakrise lenken und so ein Umdenken bei Politikern und Medien bewirken. Doch Marco und seine Mitstreiter hätten damals noch nicht gewusst, was sie bei solchen Aktionen erwarte, erzählt der 48-Jährige heute.

Neben den sogenannten "Die-Ins", bei denen sich die Aktivistinnen und Aktivisten in der Öffentlichkeit tot stellen, um auf die Zerstörung der menschlichen Lebenswelt hinzuweisen, blockierte die Gruppe immer wieder Straßen und ist damit schon seit 2019 bundesweit in den Medien präsent. Die Blockaden wurden zum Markenzeichen der XR-Bewegung. Es gehe darum, den Alltag zu stören und die Leute zu zwingen, das Thema nicht zu ignorieren, fasst Marco zusammen. Für größere Aktionen in Berlin finden sich im ersten Jahr bereits 60 Leute aus Halle, die in die Hauptstadt fahren und dort an mehrtägigen Protesten teilnehmen: "Für eine Stadt dieser Größe waren wir gut dabei", erinnert er sich.

Wer ist Extinction Rebellion? Extinction Rebellion gründet sich 2018 in England. Auf Bundesebene ist die Gruppe seit Anfang 2019 aktiv und mit ihren Aktionen immer wieder in den Medien präsent. Mit Blockaden und künstlerischen Aktionen wollen die Aktivistinnen und Aktivisten die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise richten. Eindrücklichkeit und Unbequemlichkeit sind dabei zentrale Motive bei der Gestaltung von Protestaktionen. Kernforderungen sind die Akzeptanz der Klimakrise durch die Regierungen, sofortiges Handeln durch die Regierung und die Einberufung einer Bürgerversammlung als Instanz für die Klimapolitik. Einer der Gründer fällt 2019 durch antisemitische Äußerungen und Holocaust-Leugnung auf und zieht sich aus der Bewegung zurück.

Was braucht Aktivismus, um zu funktionieren?

Bis Ende 2020 ist die Ortsgruppe in Halle immer wieder mit Aktionen im öffentlichen Raum präsent. Dann wird es immer stiller. Einer der Gründe: die Pandemie und damit die Schwierigkeit, größere Versammlungen zu organisieren. Mit künstlerischen Aktionen engagieren sich die Aktivistinnen und Aktivisten coronakonform. Im Wahlkampfjahr 2021 ist es aber erst mal aus mit XR-Halle. Man wolle die Leute mit den Aktionen nicht abschrecken, sodass sie bei der Bundestagswahl die Parteien wählen, die gegen die Klimaziele sind, erzählt Marco. Er erinnert sich an Diskussionen in der Gruppe, die sich darum drehten, ob der Ansatz noch der richtige sei: "Wir hatten die Befürchtung, dass unsere Aktionen besonders bei der Wahl negative Effekte haben könnten."

Aktionsformen ändern sich. Extinction Rebellion hat den Nährboden für andere Bewegungen bereitet.

Laurin, Klima-Aktivist

Aktivismus muss man sich leisten können

Mann steht auf einem Balkon und schaut zur Seite
Marco war von Anfang an bei der "Rebellion" dabei. Der 48-Jährige engagiert sich seit vielen Jahren in Halle für das Klima. Bildrechte: Mathis Schneider

Das unangemeldete Blockieren von Straßen, Gebäuden oder öffentlichen Räumen zählt als ziviler Ungehorsam. Hier erfordere es das Privileg, sich mit der Polizei auseinanderzusetzen, ohne Angst vor Gewalt oder Diskriminierung. Auch das Zahlen von hohen Bußgeldern oder Strafen sei ein Aspekt, der bei Extinction Rebellion mitbedacht werden muss, berichtet Marco. Das sei nicht für jeden möglich. In Deutschland fehle da vielleicht die Radikalität für persönliche oder langfristige Folgen.

In England funktioniere XR aber weiterhin. Die Voraussetzung dafür sei der Wachstum der Organisation. "In Halle ist dabei der Wegzug schon immer ein Problem", merkt Marco an, "auf der anderen Seite gibt es auch immer Zuzug und dadurch neue Impulse". In der Ortsgruppe engagierten sich unter anderem Lehrer, Erzieher, Wissenschaftler oder Studierende, die Altersspanne war groß.

Die Organisation im Hintergrund

Mann mit Regenbogen-Maske
Zeitweise war Laurin parallel bei XR und Fridays For Future aktiv. Aktuell fokussiert er seinen
Aktivismus auf FFF in Halle
Bildrechte: Mathis Schneider

2021 verlassen einige zentrale Personen die Gruppe und orientieren sich in Richtung anderer Bewegungen. Auch Laurin, 24, war bei Extinction Rebellion in Halle aktiv, engagiert sich mittlerweile aber nur noch bei Fridays For Future (FFF). Seiner Ansicht nach gehe es viel um Organisation und die Arbeit im Hintergrund. Alles, was neben der Planung von öffentlichkeitswirksamen Protesten anfällt: von E-Mails lesen bis zur Aktualisierung des Verteilers. Als die Menschen anderswo aktiv wurden, fehlten bei XR Halle die Ressourcen, den Aktivismus in der Form weiterzuführen. Darüber hinaus sei in einer solchen Gruppe das Verantwortungsbewusstsein und die Transparenz wichtig, wer sich wo und in welchem Maß einbringt, meint Laurin: "Man braucht Personen, die bestimmte Rollen übernehmen, aber muss sich gegenseitig auch emotional auffangen."

Gemeinsame Visionen halten eine Bewegung am Leben

Zentral für eine Bewegung wie XR Halle sei der öffentlichkeitswirksame Protest, so Laurin weiter. Da habe es vielleicht an einer gemeinsamen Vision und Ideen für neue und gezieltere Aktionsformen gefehlt. Dass die zentralen Forderungen von Extinction Rebellion an manchen Stellen zu vage waren, könnte ein weiterer Grund gewesen sein, warum sich Mitglieder anderen Aufgaben oder Organisationen anschlossen. Das Ziel der Bewegung müsse für die Mitglieder greifbar sein.

Extinction Rebellion habe aber den Nährboden für andere Bewegungen bereitet, meint Laurin und weist auf die Letzte Generation hin, die in Halle in den vergangenen Wochen mehrere Veranstaltungen organisiert hat. "Aktionsformen ändern sich auch." Es brauche deshalb soziale Strukturen, transparente Kommunikation und eine größere Vision für die Bewegung.

Es geht weiter – nur in anderen Gruppierungen

Beide Aktivisten versichern, dass die verschiedenen Gruppierungen der Klima-Aktivistinnen und Aktivisten in Halle eng zusammenarbeiten. Bei Demonstrationen unterstütze man sich gegenseitig. Viele aus dem Kreis von XR Halle seien so weiterhin in anderen Gruppen aktiv. Bei Fridays For Future will Laurin etwas die Erfahrungen, die er bei XR gemacht hat, einbringen, um das Engagement zu fördern. XR Halle sei deshalb aktuell nur eine Hülle, die aber auch wieder reaktiviert werden könne, sobald Leute sich dort engagieren wollen, erklärt Marco.

Ein Mann mit Bart schaut in die Kamera
Bildrechte: Mathis Schneider

Über den Autor Seit 2021 studiert Mathis Schneider in Halle den Journalismus-Master "Multimedia und Autorschaft". Bevor es ihn in die Salzstadt zog, war er nach Volontariat im PR-Bereich als Pressereferent im öffentlichen Dienst tätig. Bei seinen Geschichten will er den persönlichen Standpunkt der Menschen finden und so sich und den Lesenden neue Perspektiven eröffnen.

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