Wahlanalyse "Das freundliche Sachsen hat gewonnen"

02. September 2019, 11:14 Uhr

Quasi auf den letzten Metern hat Sachsens CDU-Parteichef und Ministerpräsident Kretschmer seiner Partei zum Wahlsieg verholfen. Auch die AfD jubelt: Sie fährt ihr bestes Ergebnis in einem Landtag ein - und spricht bereits von Neuwahlen.

Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer am Sonntagabend den Wahlsieg seiner Partei verkünden durfte. Es gehe eine Botschaft von diesem Abend aus, sagte der CDU-Landesparteichef: "Das freundliche Sachsen hat gewonnen." Gebetsmühlenartig hatte Kretschmer im Wahlkampf erklärt, dass man ein Land brauche, das positiv gestaltet sei, wo die Spaltung nicht weiter vorangetrieben werde. Eine Spaltung, die er der AfD zuschreibt.

Böses Erwachen bei Bundestagswahl       

Lange Zeit hatte es nicht wirklich so ausgesehen, dass die sächsische CDU bei dieser Wahl wieder stärkste Kraft werden würde. Die erfolgsverwöhnte Partei hatte seit 1990 in Sachsen jede Landtagswahl für sich entschieden und die Konkurrenz immer deutlich auf Abstand gehalten.

Doch das böse Erwachen kam mit der Bundestagswahl 2017, als die CDU im Freistaat (26,9 Prozent) beim Zweitstimmenanteil von der AfD (27,0 Prozent) knapp überholt worden war. Dem damals amtierenden Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich blieb Wochen danach nur der Rücktritt: Er plädierte dafür, dass der damalige Generalsekretär der Sachsen-CDU, Kretschmer, sein Nachfolger werden solle.

Mammutprogramm in den letzten Wochen

Dass dem 44-jährigen Kretschmer noch eine Kehrtwende gelingen würde, schien auch nach der Europawahl Ende Mai noch fraglich. Die AfD war damals mit 25,3 Prozent der Stimmen stärkste Partei geworden, die CDU kam mit 23 Prozent nur auf Platz zwei. Auch beim letzten Sachsentrend Anfang Juli musste die CDU weiter zittern: Beide Parteien lieferten sich in der Umfrage ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils 26 Prozent.

Kretschmer setzte noch einmal zum Endspurt an: Er tourte durch alle 60 Wahlkreise des Freistaats, er redete mit unzählig vielen Wählern. Sie haben ihm zugehört und was noch mehr zählt, viele halten Kretschmer für glaubwürdig, das zeigen sowohl das Wahlergebnis vom Sonntag, als auch Zahlen zur Wählerwanderung: Etwa 126.000 bisherige Nichtwähler konnte die CDU bei dieser Wahl für sich gewinnen.

AfD ist zweitstärkste Kraft in Sachsen

Die Wählerwanderung zeigt aber auch eine andere Seite: Die CDU hat rund 84.000 Wähler an die AfD verloren, die am Wahlsonntag im Vergleich zu 2014 fast dreimal so viele Stimmen holen konnte.

Und mehr noch: Noch nie hat die AfD so viele Stimmen bei einer Landtagswahl in Deutschland gewonnen wie jetzt in Sachsen. Mit 27,5 Prozent wird sie zweitstärkste Kraft im Landtag in Dresden, den Platz, den die Linkspartei bei den letzten Wahlen immer inne hatte.

Klare Absage an AfD

Mit wem will der Wahlsieger CDU nun eine Koalition in Sachsen eingehen? Mit der AfD als Bündnispartner hätte sie eine absolute Mehrheit und könnte bequem regieren. Doch eine solche Koalition schließt Regierungschef Kretschmer entschieden aus. Nach der Wahl am Sonntagabend erteilte er der AfD wiederholt eine Absage. Zur Begründung sagte Kretschmer: "Diese Partei fliegt nach rechts weg."

Fest steht aber auch: Mit dem bisherigen Koalitionspartner SPD ist die CDU nicht mehr regierungsfähig. Die wohl aussichtsreichste Koalitionsvariante heißt "Kenia": CDU, SPD plus Grüne. In Sachsen-Anhalt regiert seit 2016 ein solches Bündnis. Regierungschef Reiner Haseloff empfahl deshalb am Sonntag seinen sächsischen CDU-Kollegen, es doch mal mit dieser Dreier-Kombination zu probieren.  

Grüne nicht der Lieblingspartner

Doch gelten die Grünen nicht gerade als Wunschpartner der CDU. Im Gegenteil: Es gibt sogar große Vorbehalte bei den sächsischen Christdemokraten. Streitpunkte sind beispielsweise der Braunkohleausstieg, den die Grünen früher als die CDU in der Lausitz umsetzen wollen. Auch bei ihren Vorstellungen über eine ökologische Landwirtschaft im Land liegen beide Parteien weit auseinander. Ministerpräsident Kretschmer müsste in einer schwarz-grünen Konstellation nicht nur Kompromissfähigkeit mit den Grünen zeigen, sondern die Kritiker in der eigenen Partei bei Laune halten – eine doppelt schwere Aufgabe. Dass Schwarz-Grün aber durchaus zusammen regieren kann, sieht man seit fünf Jahren in Hessen.

Ruhe wird keine einkehren

Landeschef Kretschmer jedenfalls wünscht sich für Sachsen eine Regierung, die "fünf Jahre zusammenbleiben will". Sehnsucht nach Stabilität, Sehnsucht nach Ruhe ist da herauszuhören. Doch Letzteres wird vorerst nicht einkehren. Sachsens AfD-Chef Jörg Urban kündigte am Sonntagabend unmittelbar nach der Prognose an, "über das Verfassungsgericht am Ende eine Neuwahl zu erstreiten". Hintergrund ist, dass der Landeswahlausschuss wegen formaler Fehler nur 30 AfD-Listenkandidaten zugelassen hatte. Doch nach der Wahl vom Sonntag stehen der Partei mehr Mandate zu. Und die will sie jetzt auch haben.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 02. September 2019 | 01:00 Uhr

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