Nordsyrienkonflikt Russland: Ein Freund zwischen Türkei und Syrien

22. Oktober 2019, 14:10 Uhr

Beim heutigen Treffen mit Erdogan in Sotschi will Putin die herausragende Rolle Russlands im Nordsyrienkonflikt weiter festigen. Dabei muss er zwischen den türkischen und syrischen Interessen lavieren. In den vergangenen Jahren hat Russland es geschafft, einerseits zur Schutzmacht Syriens aufzusteigen und andererseits die Wirtschaftsbeziehuhngen zur Türkei deutlich auszubauen.

Am Freitag vergangener Woche haben die USA mit der Türkei eine Waffenruhe für Nordsyrien aushandeln können. Vertreter der Kurdenmilizen, gegen die die türkische Armee in Syrien vorgeht, waren an den Gesprächen nicht beteiligt. Entschprechend brüchig gestaltet sich auch die Feuerpause. Medien berichten immer wieder von Gefechten mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Doch der türkische Präsident Erdogan scheint mit dem bisherigen Verlauf der Waffenruhe zufrieden zu sein. Seinen heutigen Besuch in Sotschi hat er noch am 18. Oktober der türkischen Tageszeitung Hurriyet zufolge vom Erfolg der Waffenruhe abhängig gemacht und angekündigt, dass es bei dem Treffen mit Putin um die nächste Phase der Errichtung einer Sicherheitszone im Nachbarland gehen werde.

Russlands Rolle im Konflikt

Im Konflikt zwischen der Türkei und den Kurdenmilizen, der auf syrischem Boden ausgetragen wird, sitzt Russland momentan zwischen den Stühlen – und scheint sich dort sogar wohl zu fühlen. Zwar kritisieren die staatsnahen Medien das Vorgehen Erdogans, gleichzeitig blockierte Russland aber eine UN-Resolution, die das Vorgehen der Türkei verurteilen sollte. Zwar fordert Putin, alle ausländischen Militärkräfte sollen syrischen Boden verlassen, gleichzeitig erkennt Außenminister Lawrow die Legitimität der türkischen Sicherheitsinteressen entlang der türkischen Grenze an. Es geht Moskau vor allem darum, gute Beziehungen zu beiden Seiten zu bewahren und sich nicht in den jeweiligen Partikularinteressen zu verstricken.

Fjodor Lukjanow, Chefredakteur des Journals „Russia in Global Affairs“, Internationaler Journalist
Der russische Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Für Moskau birgt diese Situation sowohl Risiken als auch Chancen", sagt der russische Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow, der zugleich Chefredakteur des Magazins "Russia in Global Affairs" ist. So muss der Kreml diplomatisch zwischen Assad und Erdogan lavieren - beide sind zutiefst verfeindet und gleichzeitig Moskaus Verbündete. Lukjanow hält es jedoch für möglich, dass der türkische Vorstoß mit Moskau abgesprochen war, was aus seiner Sicht auch die verhaltene Reaktion Moskaus erklären würde.

Das starke Band der Wirtschaft

Russland und die Türkei verbinden aktuell vor allem wirtschaftliche Interessen. Da ist einmal das Projekt der "TurkStream", einer Gaspipeline, die der russische Konzern Gazprom auf türkischem Territorium baut. Diese soll nicht nur die Türkei mit Gas versorgen, sondern auch in Richtung Südosteuropa ausgeweitet werden. Außerdem entsteht im Süden des Landes ein russisches Atomkraftwerk. Auch kaufte kürzlich die Türkei - sehr zum Ärger der Nato - russische S-400-Luftabwehrsysteme. Zudem stehen weitere Käufe russischer statt amerikanischer Kampfjets im Raum.

Gleichzeitig möchte Russland es vermeiden, aktiv in die Kämpfe in Syrien einbezogen zu werden. Denn die türkischen Streitkräfte in der Region sind den russisch-syrischen deutlich überlegen. Zudem sind die Erinnerungen an den 2015 von der Türkei abgeschossenen russischen Kampfjet noch zu präsent. Zwar hat sich Erdogan später dafür entschuldigt, doch der Vorfall zeigte auch, dass Russland außer Wirtschaftssanktionen kein Druckmittel gegen Ankara besitzt.

Außenpolitische Erfolge in Syrien

Russland möchte also gute Beziehungen zur Türkei wahren, gleichzeitig aber auch Assad nicht im Stich lassen. Auch hier winken lukrative Waffendeals und künftige Geschäfte mit syrischen Rohstoffen. Zudem kann Russland in Syrien aktuell seine Überlegenheit gegenüber den USA in der Region unter Beweis stellen. Als US-Truppen vergangene Woche ihre Basis in der Stadt Manbidsch aufgegeben haben, dauerte es nur wenige Stunden, bis diese von russischen Soldaten besetzt wurde.

Dazu ist es Russland gelungen, die Kurden als ehemalige Verbündete der USA mit dem Assadregime zusammen zu bringen. Das russische Militär stellte seine Basis im syrischen Hmeimim der Kurdenmiliz zur Verfügung, die dort mit der Führung in Damaskus einen Deal aushandelte. Seit Monaten hatte Moskau darauf gedrängt.

Dass dieser Deal nun angesichts der Notlage der Kurden geglückt ist, dürfte Moskaus Außenpolitiker freuen. Die syrische Armee, die nach der Einigung mit den Kurden in den Norden des Landes aufgebrochen ist, wird weniger die türkische Invasion stoppen, als Assads Einfluss in den bisher abtrünnigen Gebieten stärken. Im Gegenzug werden Moskau und Damaskus mittelfristig akzeptieren müssen, dass die Türkei Teile Syriens weiterhin besetzt hält.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 15. Oktober 2019 | 07:00 Uhr

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