Filmausschnitt aus der Doku "Tylko nie mów nikomu" von Tomasz Sekielski
Die siebenjährige Anna Misiewicz wurde von dem Priester ihrer Gemeinde sexuell missbraucht. (Screenshot aus Youtube) Bildrechte: Youtube/Sekielski

Katholische Kirche Film über Kindesmissbrauch erschüttert Polen

13. Mai 2019, 16:13 Uhr

Eine Doku über Pädophilie in der katholischen Kirche sorgt in Polen für Aufregung. Der Film wurde am vergangenen Sonnabend im Internet veröffentlicht und seitdem schon über 7,5 Millionen Mal abgerufen.

Eine junge Frau trifft auf einen alten Priester. Als Siebenjährige wurde sie von ihm sexuell missbraucht, 30 Jahre danach sucht sie ihren Peiniger auf. Anna Misiewicz kann heute immer noch keine Milch riechen. Denn der Geistliche Jan A. trank viel davon, gerade auch bevor er das Mädchen küsste, es sexuell missbrauchte. Auf die Frage, warum gerade sie, sagt der Rentner: "Ab einem gewissen Alter kamen diese männlichen Dinge in mir hoch." "Herr Priester, sie haben mit meinen Händen masturbiert". Er bietet ihr Geld, will zur Vergebung ihre Hand küssen. Es sei der Teufel gewesen, der seinen Tribut gefordert habe.

Das ist nur eine von vielen verstörenden Begegnungen aus "Sag es bloß niemandem". Der Film sucht die Konfrontation zwischen Opfern wie Anna Misiewicz und ihren Peinigern. Er zeigt institutionelle Strukturen der katholischen Kirche in Polen auf, die den Missbrauch überhaupt möglich machten. Oftmals wurden und werden die Priester, selbst wenn sie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt oder sogar verurteilt wurden, in andere Gemeinden versetzt. Auch dort hatten und haben sie weiterhin oftmals mit Kindern zu tun.

Sieben Millionen Zuschauer in wenigen Tagen

Dass das Thema die Polen interessiert, wird bereits kurz nach der Veröffentlichung deutlich: Der zweistündige Film ist seit dem 11. Mai 2019 auf Youtube zu sehen und wurde bisher mehr als 7,5 Millionen Mal angeschaut. Der Journalist und Filmemacher Tomasz Sekielski hatte das Geld für die Produktion über das Crowdfunding-Portal "Patronite" eingesammelt. Er wollte unabhängig von politischen Lagern bleiben. Über 90 Prozent der Polen bekennen sich zur katholischen Kirche. Ein Thema, das quasi alle betrifft.

Reaktionen folgen prompt

Der Primas der katholischen Kirche Polens, Wojciech Polak und polnische Bischöfe bei einer Prozession.
Der Primas der katholischen Kirche Polens, Wojciech Polak, bei einer Prozession. Bildrechte: imago images / ZUMA Press

Das Thema Pädophilie wird bereits seit einigen Monaten – auch angestoßen durch den Spielfilm "Klerus" – in der polnischen Öffentlichkeit diskutiert. Im März veröffentlichte die Kirche außerdem eine Studie zu Missbrauch in den eigenen Reihen. Kritiker bezweifeln aber, dass es einen breiten Aufklärungswillen gibt, obwohl das seit einigen Jahren ein zentrales Anliegen von Papst Franziskus ist. Der offizielle Botschafter des Papstes in Polen, Erzbischof Wojciech Polak, versprach als Reaktion auf den Film bessere Aufklärung und Ahndung. „Schmerz und Scham“ habe der Film in ihm ausgelöst. Er bat die Opfer um Vergebung. Andere Bischöfe und Geistliche kritisierten den Film als tendenziös und streiten die Taten ab.

Kaczyński: Härtere Strafen für Pädophile

Auch die Reaktion von Jarosław Kaczyński blieb nicht aus: Kinderschänder sollten in Polen härter bestraft werden. Wer sich des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen schuldig mache, müsse "besonders hart bestraft" werden, egal ob es sich um Priester oder Prominente handele, sagte der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei einen Tag nach der Veröffentlichung des Films. Er versprach, Gesetzesänderungen einzuführen, damit sexueller Missbrauch von Kindern mit "vielleicht sogar bis zu 30 Jahren Haft" geahndet werden kann.

Fortsetzung geplant

Pädophilie wird, angestoßen durch die Doku, Thema in der Politik bleiben. Zumindest bis am 26. Mai ein neues EU-Parlament gewählt ist. Ob jedoch auch die katholische Kirche in Polen tatsächlich die Opfer ernst nimmt und nicht weiterhin Verbrechen in den eigenen Reihen durch ihre Strukturen deckt, ist fraglich. Die Journalistin Katarzyna Janowska schreibt auf dem Nachrichtenportal onet.pl, dass Tomasz Sekielski bewiesen habe, was der Spielfim "Klerus" bereits gezeigt habe: "Die polnische Kirche handelt wie die Mafia. Hierarchien haben jahrelang pädophile Priester versteckt. Und das bedeutet Mitschuld an den Verbrechen."

Der Journalist Tomasz Sekielski sitzt an einem Tisch
Filmemacher Tomasz Sekielski wollte eine unabhängige Doku machen: "Ich habe die Hoffnung, dass sich etwas in der Kirche verändert." Bildrechte: Tomasz Sekielski

Der Filmemacher Tomasz Sekielski sieht mit seiner Arbeit nur einen kleinen Teil der Verbrechen dokumentiert und schrieb auf Youtube: "Viele Opfer kamen im Laufe der Arbeit zu uns, deren Geschichten in dieser Doku nicht auftauchten. Wir haben neue, schockierende Beweise in diesen Angelegenheiten. Deshalb wollen wir eine Fortsetzung." Dafür sammelt er erneut Geld und bittet Privatpersonen um Unterstützung. Es scheint, als ob er auch mit einer Fortsetzung Erfolg haben wird. Er hat mit dem Thema einen Nerv der Polen getroffen.

(adg/youtube/natemat.pl/onet.pl)

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im Fernsehen: MDR | 16.09.2018 | 19:30 Uhr

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