Volkswagen Werk Wolfsburg
Der VW-Konzern sucht nach einem Standort für sein neues Südosteuropa-Werk und plant Investitionen in Höhe von rund 1,3 Milliarden Euro. Bildrechte: imago images/Jan Huebner

Automobilindustrie Heiß begehrt - Bulgarien und Rumänien werben um VW-Werk

22. Oktober 2019, 05:00 Uhr

Lange hat der Volkswagen-Konzern nach einem geeigneten Standort für sein neues Südosteuropa-Werk gesucht. Schließlich fiel die Wahl auf die westtürkische Stadt Manisa. Doch nach dem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien hat der deutsche Autobauer die Pläne auf Eis gelegt und seine Entscheidung vertagt. Umgehend brachten sich Bulgarien und Rumänien in Stellung. Beide buhlen um die milliardenschwere Investition aus Wolfsburg.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Volkswagen unter diesen Bedingungen in der Türkei eine Milliardeninvestition vornimmt." Diese Worte des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) aus der vergangenen Woche ließen viele in Bulgarien hoffnungsvoll aufhorchen. Denn im Balkanland hatte man den Bau eines neuen VW-Werks nahe der Hauptstadt Sofia eigentlich schon abgeschrieben. Die Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien veranlasste den Konzern in Wolfsburg jedoch, die Entscheidung über den neuen Standort zu vertagen, wie ein VW-Sprecher bestätigte. Damit ist auch Bulgarien wieder im Rennen.

Bulgarien bessert Angebot nach 

Ein Industriegelände am Rande der bulgarischen Hauptstadt Sofia wird für das begehrte VW-Werk gehandelt. Nun heißt es, das EU-Land Bulgarien sei bereit, sein Angebot an Volkswagen nachzubessern, um den Zuschlag zu bekommen. So erklärte der frühere Staatspräsident Rossen Plewneliew, der inzwischen dem Interessenverband der bulgarischen Automobilindustrie vorsteht, man denke in Sofia daran, das 800 Hektar große Grundstück am Rande der Hauptstadt der Nachbargemeinde Elin Pelin zu übertragen. Dort wären doppelt so hohe staatliche Beihilfen möglich wie in Sofia. Plewneliew rechnet auch die Infrastruktur hinzu, etwa die Anbindung an das Schienennetz, die Autobahn und die U-Bahn, und kommt so auf insgesamt 800 Millionen Euro staatliche Förderung an VW. Seinen Angaben zufolge liegt das Angebot inzwischen bei VW. Auch seien die Beihilfen mit der EU-Kommission abgesprochen.

Rossen Plevneliev
Der ehemalige bulgarische Präsident Rossen Plewneliew ist aktuell Chef des Interessenverbands der bulgarischen Automobilindustrie und wirbt um die Investitionen aus Wolfsburg. Bildrechte: imago/SKATA

Dass das bulgarische Angebot bereits abgeändert sei, kann der Vorsitzende der Investitionsagentur in Sofia, Stamen Janew, nicht bestätigen. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk BNR sagte er aber, man sei bereit, das Angebot zu überarbeiten. "Allerdings halten wir uns strikt an den EU-Regeln in Bezug auf die staatlichen Beihilfen", betonte Janew. Und der Autobauerverbandschef Plewneliew fügte hinzu: "Bulgarien ist ein EU-Mitglied mit stabiler Wirtschaft, demokratischer Ordnung und gut ausgebildeten Fachkräften."

Bulgarische Automobilbranche boomt

Die Verhandlungen mit Wolfsburg seien nie abgeschlossen gewesen, unterstreicht auch Bulgariens Wirtschaftsminister Emil Karanikolow. Selbst wenn sich der Konzern für ein Werk in der benachbarten Türkei entschiede, böte sich eine Zusammenarbeit im Bereich der Autozulieferer an, so der Minister. Seit gut einem Jahrzehnt boomt die Zulieferbranche in Bulgarien, die rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Sie umfasst derzeit etwa 220 Unternehmen mit mehr als 65.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von fünf Milliarden Euro.

Abteilung: Halle 8, Montage VW Touran
Mit dem neuen VW-Werk könnten in Bulgarien auch wieder Autos vom Band laufen. Bildrechte: imago images / regios24

Bulgarrenault fiel Druck aus Moskau zum Opfer

Bulgarien bemüht sich seit längerem, zu einem Produktionsstandort der Automobilindustrie aufzusteigen. 1966 begann in Kooperation mit französischen Renault-Konzern die Herstellung des sogenannten Bulgarrenault. Bis 1970, als die Kooperation auf Druck aus Moskau aufgegeben werden musste, liefen über 6.540 Pkw vom Band, wobei der Großteil ins westliche Ausland und in den Nahen Osten ging. 2017 scheiterte der Versuch des chinesischen Automobilproduzenten "Great Wall", von Bulgarien aus den EU-Markt zu erschließen: Das Werk nahe Lowetsch ging pleite.

Renault 8 in den 60er Jahren
Der Renault 8 wurde in den 1960er-Jahren als Lizenz in Bulgarien unter dem Namen Bulgarrenault produziert. Bildrechte: imago images / Leemage

Rückenwind aus Brüssel

Die bulgarischen Träume auf ein VW-Werk werden auch aus Brüssel angeheizt. Gegen den Deal von Volkswagen mit der Türkei sprachen sich mehrere EU-Parlamentarier aus, allen voran EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Er hatte sich zusammen mit weiteren sieben Europaabgeordneten an die EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager gewandt, die EU-Kommission solle das Geschäft mit der Türkei überprüfen, da die vom türkischen Präsidenten Erdogan versprochenen Beihilfen dem EU-Recht widersprechen. Es dürfe nicht sein, dass Bulgarien bestraft werde, weil es sich an die Regeln halte, wird in der bulgarischen Presse der Vorsitzende der Europäischen Grünen Reinhard Bütikofer zitiert.

Auch Rumänien bringt sich ins Gespräch

Doch im Kampf um das VW-Werk hat Bulgarien einen ernstzunehmenden Konkurrenten: das Nachbarland Rumänien. Der dortige Handelsminister Stefan Radu Oprea sagte der rumänischen Finanzzeitung "Ziarul Financiar", man habe vorige Woche neue Gespräche mit Volkswagen aufgenommen. Verhandlungen zwischen dem Konzern und der rumänischen Regierung hatte es schon zu Jahresbeginn gegeben. Der frühere Bürgermeister der westrumänische Stadt Arad, Gheorghe Falcă, sagte dem Nachrichtenportal G4 Media, VW habe sich konkret für seine Stadt interessiert. Er selbst habe an den Gesprächen teilgenommen. Man habe als Stadtverwaltung ein 1.100 Hektar großes Grundstück angeboten, auf dem das VW-Werk sowie Zulieferfirmen hätten Platz finden können.

Airbageinbau
Rumänien würde vom neuen VW-Werk profitieren. Doch Experten bezweifeln, ob sich im Land genügend qualifizierte Arbeitskräfte finden lassen. Bildrechte: imago images / regios24

Renault und Ford im Land

Das westrumänische Arad liegt gut 40 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt, von der Stadt lässt sich das Autobahnnetz nach ganz Europa gut erreichen. Großer Kritikpunkt von Investoren der Automobilbranche war in den vergangenen Jahren, dass Rumänien eine bessere Infrastruktur bräuchte, um just in time liefern zu können. Trotz dieser Kritik ist die Automobilbranche wie kein anderer Industriezweig in Rumänien im vergangenen Jahrzehnt enorm gewachsen. So lässt der französische Autokonzern Renault in Pitesti die Marke Dacia bauen – die Modelle Logan und Duster sind längst auch deutschen Autofahrern ein Begriff. Im südrumänischen Craiova lässt dagegen US-Konzern Ford SUVs bauen.

Ein Viertel aller rumänischer Exporte

Rund 13 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Rumäniens gehen inzwischen direkt oder indirekt auf die Automobilproduktion zurück. Fahrzeuge und unzählige Zulieferteile machen gut 24 Prozent aller Exporte des Landes aus. Die Dominanz zeigt sich auch am Arbeitsmarkt: Die Auto- und Zulieferbranche beschäftigt gut 180.000 Menschen. Das sind rund 15 Prozent aller rumänischen Beschäftigten im produzierenden Gewerbe.

Die Zeitung "Ziarul Financiar" zitierte dieser Tage Handelsminister Oprea, dass Rumänien über "sehr gute" technische Voraussetzungen verfüge und kein Problem habe, Arbeitskräfte zu bekommen. Doch das zweite Versprechen wird der Minister wohl kaum halten können. In den Ballungszentren der Autoindustrie lassen sich kaum noch Fachkräfte rekrutieren, die Arbeitslosigkeit in den Regionen ist verschwindend gering. Hinzu kommt, dass gut ein Fünftel der Bevölkerung ausgewandert ist, auch deshalb fehlt es allerorten an Personal. Ein Fakt, der bei einer möglichen Neuentscheidung zum Werksstandort mit Sicherheit für VW eine große Rolle spielen wird.

Ende August hatte der VW-Aufsichtsrat eine Grundsatzentscheidung für das neue Werk getroffen, in dem die Marken VW Passat und Skoda Superb vom Band laufen sollen. Laut Vorinformationen handelt es sich um eine Investition in Höhe von rund 1,3 Milliarden Euro. Erwartet wird, dass etwa 4.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Produktionsstart ist bislang für 2022 vorgesehen. Nun könnten diese Investitionen statt in die Türkei vielleicht nach Bulgarien oder Rumänien gehen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 10. September 2019 | 21:45 Uhr

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