Geborgenes Schiff
Am 29. Mai 2019 sank mitten in Budapest das Ausflugsboot "Hableány" nach einem Zusammenstoß mit einem Flusskreuzfahrtschiff. 28 Menschen kamen dabei ums Leben. Bildrechte: Anikó Steimetz / MDR

MEIN OSTBLOGGER-JAHR Ist der Massentourismus schuld? - Schiffsunglück in Ungarn

19. Dezember 2019, 05:00 Uhr

Am 29. Mai ist auf der Donau im Zentrum von Budapest das Ausflugsboot "Hableány" verunglückt. Innerhalb weniger Minuten sind 28 Menschen ertrunken. Das Unglück erschütterte das ganze Land.

Zum Zeitpunkt des Unglücks, am 29. Mai um 21.05 Uhr, saß ich mit meiner Familie beim Abendessen. Wir waren im Urlaub im Ausland und haben die Nachrichten des Abends aus der Heimat nicht mehr verfolgt. Erst am nächsten Morgen haben wir gesehen, was auf der Donau, vor der Margaretenbrücke im Zentrum von Budapest passiert war. Die Online-Medien waren voll mit schockierenden Schlagzeilen über das gesunkene Touristenboot "Hableány". Es wurde gemeldet, dass nur sieben der 35 Menschen an Bord der Ausflugsbootes gerettet werden konnten. Alle anderen waren ertrunken. Und alle stellten immer die gleiche Frage: Wer hat Schuld an der Katastrophe? Wir konnten es einfach nicht glauben. So etwas hat es in Ungarn noch nie gegeben. Wie konnte diese sinnlose Tragödie passieren?

Eine Tragödie aus heiterem Himmel

Vor Kurzem habe ich mit Anikó Steimetz, der Kamerafrau eines ungarischen Online-Nachrichtenportals, über das Unglück gesprochen. Sie war unter den ersten Journalisten, die anhand von Polizei-Meldungen versuchten, die Unglücksstelle zu finden. Es fällt ihr bis heute schwer, an jenen Abend zu denken. "Das Wetter war sehr schlecht", erzählt sie. "Es regnete in Strömen, es war sehr kalt und dunkel. Wir wussten gar nicht genau, wo wir eigentlich suchen sollen und wonach. Während wir das Ufer im Zentrum abliefen, kam die Meldung, dass Menschen im Wasser sind und es wahrscheinlich viele Tote gibt. Dann sind wir mit Kollegen die Donau entlang bis zur Rákóczi Brücke gegangen. Dort haben wir plötzlich Taucher gesehen, die zwei schwarze Säcke aus dem Wasser herauszogen. Da ist mir klar geworden, dass etwas unbeschreiblich Schreckliches passiert sein musste."

Kerzen vor einem Fluss
Trauerkerzen an der Margaretenbrücke im Zentrum von Budapest, wo das Schiffsunglück passiert ist. Bildrechte: Anikó Steimetz / MDR

Später stellte sich heraus, dass das Ausflugsboot "Hableány", mit 33 südkoreanischen Touristen und zwei ungarischen Besatzungsmitgliedern an Bord, gerade von einer abendlichen Sightseeing-Tour zurück kam und nur noch wenige hundert Meter vom Hafen entfernt war, als es mit dem brandneuen Hotelschiff "Viking Sigyn" zusammenstieß. Das kleine Ausflugsboot versank innerhalb weniger Sekunden. Sieben Passagiere konnten gerettet werden, weil sie zum Zeitpunkt des Unfalls auf Deck waren und ins Wasser fielen. Alle anderen galten als vermisst.

Taucher als Helden

In den folgenden Tagen dominierten persöhnliche Geschichten der Verunglückten die Titelseiten der Zeitungen. Aber auch die Arbeit der Rettungstaucher rückte ins Rampenlicht. Profis aus Ungarn und später auch aus Österreich, Tschechien und Südkorea arbeiteten tagelang bis zur totalen Erschöpfung. Trotz des hohen Pegelstands der Donau und einer sehr starken Strömung versuchten sie, praktisch blind, die vermissten Menschen zu finden und das versunkene Wrack zu untersuchen.

Taucher im Einsatz
Tagelang suchten Taucher unermüdlich nach den Vermissten des Schiffsunglücks. 27 Passagiere konnten tot geborgen werden. Eine Person bleibt bis heute verschollen. Bildrechte: Anikó Steimetz / MDR

"Wir Journalisten fühlten uns gegenüber den Südkoreanern irgendwie verantwortlich, ich glaube, so wie alle Ungarn", erzählt die Kamerafrau Steimetz weiter. "Jeder von uns wollte die vermissten Touristen finden, damit die Angehörigen wenigstens eine Bestattung organisieren und Abschied nehmen konnten. Am schlimmsten war es, als eine Mutter und ihre sechsjährige Tochter geborgen wurden. Wir sahen den kleinen Sack und alle wussten sofort Bescheid." Das Wrack selbst konnte erst nach zwei Wochen geborgen werden.

Kerzen und die Flagge von Korea
Ganz Ungarn trauerte mit den Südkoreanern, die ihre Angehörigen in der Katastrophe verloren haben. Bildrechte: Anikó Steimetz / MDR

Selfies statt Brücke

Tagelang rätselten die Behörden, wie es überhaupt zu diesem Unglück kommen konnte. Mit Hilfe von Aufnahmen von Überwachungskameras und der Black Box des Hotelschiffs wurde später klar, dass dieses das kleine Ausflugsboot rammte und regelrecht nach unten drückte. Der 64-jährige ukrainische Kapitän des Hotelschiffes wurde daraufhin wegen der Gefährdung des Schiffsverkehrs mit Todesfolgen verhaftet. Der Anklageschrift zufolge, die erst im November vorgelegt wurde, soll er unmittelbar vor der Zusammenstoß nicht auf seinem Posten gewesen sein, stattdessen habe er unter anderem Selfies mit den Passagieren gemacht. Deswegen habe er das kleine Touristenboot nicht gesehen. Auch soll er versäumt haben, den Menschen im Wasser zu helfen. Bei einer Verurteilung drohen dem Kapitän mindestens neun Jahre Haft.

Geborgenes Schiff
Die verunglückte "Hableány" konnte erst zwei Wochen nach dem Unfall geborgen werden. Bildrechte: Anikó Steimetz / MDR

Schiffsstaus im Zentrum von Budapest

Die Tragödie hat wieder die Frage aufgeworfen, ob es im Zentrum von Budapest eine zu hohe Schiffsdichte gibt. Viele Touristen wollen vor allem das beleuchtete Stadtzentrum von der Donau aus bewundern. Deswegen sind die abendlichen Sightseeing-Touren mit Abendessen und Musik sehr beliebt. Es kommt oft vor, dass auf dem vier Kilometer langen Donau-Abschnitt bis zu 70 Schiffe gleichzeitig unterwegs sind, darunter nicht nur kleine Boote, sondern auch mehrstöckige Flusskreuzfahrtschiffe, wie im Fall der Tragödie. Der damalige Oberbürgermeister von Budapest István Tarlós hat in einem Interview erwähnt, dass es überprüft werden solle, ob die grossen Hotelschiffe in der Innenstadt ankern dürfen oder nicht doch besser nach Außen verlegt werden sollten. Diese Idee blieb jedoch ohne Resonanz, niemand aus der Tourismus- oder Schiffahrtindustrie hat sie aufgegriffen. Kein Wunder, immerhin steht hier sehr viel Geld auf dem Spiel. Seit Oktober 2019 hat Budapest jedoch einen neuen Oberbürgermeister. Ich bin gespannt, ob er sich dieses Themas erneut annehmen wird.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 31. Mai 2019 | 17:45 Uhr

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