Autofahrer zeigt den Stinkefinger
Alltag auf Budapester Straßen: Autofenster runter, Mittelfinger raus. Bildrechte: imago/imagebroker

Straßenverkehr Autofahren in Osteuropa: Rasen, drängeln, drohen

08. September 2020, 14:20 Uhr

Tempo 130 auf Autobahnen? In Deutschland wird das seit Jahren heiß diskutiert. In Osteuropa sind durchgehende Geschwindigkeitsbegrenzungen die Regel. Ein Blick zu unseren Nachbarn zeigt allerdings: Damit ist es nicht getan.

Eines scheint in nahezu allen osteuropäischen Ländern gleich zu sein, zeigt eine Umfrage unter den MDR-Ostbloggern: Autofahrer dort lassen gerne die Muskeln spielen, begreifen die Straßenverkehrsordnung oft nur als Empfehlung, sie zu ignorieren ist Standard. Das betrifft natürlich auch die Geschwindigkeit.

"Rettungsgasse" für Raser in Polen

50 km/h in der Stadt? Darauf sollten Sie sich beispielsweise in Polen nicht verlassen. Dort dreht man gerne auch in der City auf und rast mit 100 Stundenkilometern zum nächsten Termin, erzählt unsere Ostbloggerin Monika Sieradzka. Blitzer und Radarfallen seien selten. Und vor Polizeikontrollen warnen sich die Autofahrer über CB-Funk, der in Polen noch sehr verbreitet ist.

Schnell, schneller, am schnellsten gilt in Polen auch außerhalb von Ortschaften. Fahrer mit Bleifuß rechnen fest damit, dass man Platz für sie macht. Bremsen ist nicht geplant. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass auf Fernstraßen mit Standstreifen die langsameren Autos nach rechts fahren und eine "Rettungsgasse" bilden, wenn ein schnelles Fahrzeug heranjagt. Der Raser kann dann auch dort überholen, wo es eigentlich zu eng wäre. Als nichtsahnender Deutscher wird das schnell zu einer Todesfalle.

"Straßen-Adler" und "Straßen-Hähnchen" in Litauen

Dass Polen bei solchen Gepflogenheiten in Sachen Verkehrstote in Europa in der ersten Liga spielt, wundert kaum. Auf litauischen Straßen wird jedoch noch mehr gestorben. Viele Autofahrer wenden lieber das Recht des Stärkeren als die Straßenverkehrsordnung an. Scharfe Kontrollen und ein gesellschaftlicher Wandel führen dort neuerdings jedoch zu einer Entschärfung, berichtet Vytenė Stašaitytė, unsere Ostbloggerin in Vilnius. Der Wandel schlägt sich auch in der Sprache nieder. Wurden in Litauen betrunken durch die Gegend rasende Fahrer lange als "Straßen-Adler" bezeichnet, spricht man von ihnen mittlerweile despektierlich von "Straßen-Hähnchen".

Schimpfen und Schießen in Budapest

Wenn Sie sich mit dem Auto nach Budapest wagen, haben Sie gute Chancen, schon nach wenigen Minuten einen Stinkefinger zu kassieren. Ungeduldig, intolerant, unachtsam: das ist die Diagnose, die unsere ungarische Kollegin Piroska Bakos den ungarischen Autofahrern ausstellt. Drängeln und motzen gehört zum Alltag. Streitereien trage man an Ort und Stelle aus. Es sei absolut üblich, dass sich Autofahrer so in die Haare kriegen, dass sie stehen bleiben, und sich bei heruntergelassenen Scheiben mit Schimpfworten belegen. Nicht immer bleibt es bei Wortgefechten. Einmal, so berichtet unsere Ostbloggerin Piroska Bakos, sei auf einer Schnellstraße in Budapest ein Streit eskaliert. Einer der Autofahrer habe zwei Schüsse aus einer Gaspistole auf seinen Kontrahenten abgefeuert.

blauer Eimer auf einem Auto in Russland, daneben stehen ein Polizist und ein Polizeiwagen 3 min
Bildrechte: Collage Imago/MDR

Schlagloch-Rallye in Russland

Was auf Russlands Straßen abgeht, zeigen Tausende Youtube-Videos höchst eindrucksvoll. Denn eine Dashcam gehört bei russischen Autofahrern zur Grundausstattung. Riskante Überholmanöver, spektakuläre Unfälle: 2018 gab es nach Angaben der Staatlichen Inspektion für Verkehrssicherheit mehr als 18.000 Verkehrstote in Russland. Rekord in Europa. Das hat nach Ansicht unseres russischen Ostbloggers Maxim Kireev natürlich mit den als Straßen bezeichneten Schlaglochpisten und mit Autofahrern zu tun, die viel zu schnell unterwegs sind. Eine große Rolle spiele aber auch die Praxis, sich eine Fahrerlaubnis gewissermaßen zu kaufen. Für 300 bis 400 Euro bar auf die Hand ist der Fahrlehrer, der in Russland auch gleich noch die Prüfung abnimmt, bereit, selbst bei Schülern ein Auge zuzudrücken, die noch nicht reif für den Straßenverkehr sind.

Trotz allem: Unser Ostblogger Maxim Kireev blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. In den letzten 20 Jahren sei die Zahl der Verkehrstoten in Russland um ein Drittel gesunken. Und zumindest in Großstädten würden sich Autofahrer zunehmend respektvoller verhalten. Das zeige sich u.a. daran, dass Zebrastreifen nicht mehr nur als Straßendeko wahrgenommen würden.

(ms/pb/vs/mk)


Über dieses Thema berichtete das MDR-Verbrauchermagazin "Umschau"auch im : TV | 24.04.2018 | 20:15 Uhr

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