MEDIEN360G im Gespräch mit... Prof. Dr. Dirk Pawlaszczyk

17. Februar 2020, 18:27 Uhr

Unsere Autorin Dagmar Weitbrecht sprach mit Prof. Dr. Dirk Pawlaszczyk, Studiendekan für Cybercrime/Cyberforensik an der Hochschule Mittweida, über das Darknet, das Tor-Netzwerk und welche Inhalte dort zu finden sind.

Porträt von Prof. Dr. Dirk Pawlaszczyk, Studiendekan für den Studiengang Cybercrime/Cybersecurity an der Hochschule Mittweida. Daneben der Schriftzug: Im Gespräch mit... 11 min
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MEDIEN360G im Gespräch mit...

Unsere Autorin Dagmar Weitbrecht sprach mit Prof. Dr. Dirk Pawlaszczyk, Studiendekan für Cybercrime/Cyberforensik an der Hochschule Mittweida, über das Darknet, das Tor-Netzwerk und welche Inhalte dort zu finden sind.

Do 13.02.2020 16:23Uhr 10:33 min

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Dagmar Weitbrecht: Wir suchen Antworten auf die Frage: "Wie dunkel ist das Darknet?" Besteht es wirklich nur aus Marktplätzen für Waffen, Drogen oder Kinderpornografie? Oder gibt es auch eine helle Seite? Und dazu spreche ich jetzt mit Professor Dirk Pawlaszczyk. Was haben Sie mit dem Darknet zu tun?

Dirk Pawlaszczyk: Ja, wir beschäftigen uns hier an der Hochschule quasi hauptamtlich und hauptberuflich mit diesem Thema, da wir ein Masterstudienangebot in dem Bereich haben, Cybercrime und Cyberforensik, und entsprechend hier uns mit dem Thema "Dunkles Internet, was dahinter steht und was sich tatsächlich dahinter sich verbirgt" mit unseren Studenten auch in der Forschung arbeiten.

Dagmar Weitbrecht: Wie ist das Darknet überhaupt entstanden?

Dirk Pawlaszczyk: Nun, entstanden ist das Ganze schon sehr früh. Der Begriff des "Darknet" geht noch auf die Siebzigerjahre zurück. Dort bezeichnete das Darknet im Prinzip die Bereiche des Netzwerks oder Internets, die nicht zugänglich waren, normalerweise. Das heißt, wo man zusätzliche Zugangshürden hatte. Die eigentliche Idee des Darknets, wie wir es heute kennen, geht auf Mitte der Neunzigerjahre zurück. Und zwar haben dort einige Forscher am Naval Institute for Research, also einem Forschungsinstitut der Navy, sich dazu grundlegend Gedanken gemacht und haben sich überlegt, wie wir überhaupt im Internet, einem offenen System, möglichst unbehelligt und ohne dass wir Angst davor haben müssen, verfolgt oder beobachtet zu werden, uns bewegen können. Daraufhin ist im Prinzip ein Protokoll entstanden, dass wir als Onion-Routing bezeichnen, und das heute noch die Basis eben für das Darkweb bildet.

Dagmar Weitbrecht: Deep Web, Darknet und dann haben wir ja noch das Internet, was wir alle kennen. Können Sie das vielleicht mal einordnen, über welche Größenverhältnisse sprechen wir?

Dirk Pawlaszczyk: Zunächst einmal das normale Internet wird häufig auch als Clear Web bezeichnet, also als das für uns sichtbare Internet, das insbesondere auch Suchmaschinen jederzeit finden und durchsuchen können. Davon unabhängig gibt es das sogenannte Deep Web, das tiefe Internet. Das ist das, was im Prinzip für uns als Nutzer normalerweise so nicht einsehbar ist. Dahinter verbergen sich sehr viele Datenbanken und Informationssysteme, die einen Zugriffsschutz haben. Ein Teil dieses Deep Webs ist das so genannte Darkweb. Das wiederum kann man nur dann betreten, wenn man eine spezielle Zugangssoftware benutzt, beispielsweise den Tor-Browser. Von den Größenverhältnissen her ist das Deep Web um ein Vielfaches größer als das Clear Web, also das normale Internet. Wir reden hier über einen Größenordnung von Faktor 50 bis 100. Ja, das heißt vielmehr Informationen sind eigentlich für uns im Internet gar nicht zugreifbar, da sie im geschützten Bereichen beziehungsweise für uns nicht zugänglichen Bereichen gespeichert sind.

Dagmar Weitbrecht: Sie hatten jetzt schon einen Begriff einer besonderen Software genannt. Aber wenn ich den Begriff "Darknet" höre, denke ich ja erst mal, das ist ein Netzwerk. Aber das ist nicht ganz richtig.

Dirk Pawlaszczyk: Das ist nicht ganz richtig. Das Darkweb bezeichnet also zunächst einmal den Bereich des Internets, in den man eben nicht so einfach gelangt, sondern man braucht dazu meistens eine Spezialsoftware. Tatsächlich gibt es ganz viele dieser Darkwebs. Vielmehr ist es ein Oberbegriff, und unter diesem Oberbegriff verbergen sich sehr viele Lösungen, die den Nutzern die Möglichkeit geben, sich anonym im Internet zu bewegen. Eines davon, das wohl bekannteste Beispiel, ist das Tor-Netzwerk. Wir haben aber zum Beispiel auch das Invisible Internet Project, I2P, oder Freenet oder andere Anbieter, die ähnliche Services bieten, die ähnliche Funktionalitäten anbieten.

Dagmar Weitbrecht: Sie hatten jetzt gerade schon das Tor-Netzwerk genannt. Wie groß ist das?

Dirk Pawlaszczyk: Das Tor-Netzwerk von seine Ausdehnung her ist zunächst einmal weltweit umspannend und besteht aus einer Reihe sogenannter Tor-Knoten. Davon gibt es zwischen 6000 und 8000 aktive Knoten und genutzt wird es derzeit von rund 2 Millionen Menschen am Tag.

Dagmar Weitbrecht: Das klingt erst mal viel, aber auf die Menge der Nutzer im Internet insgesamt ist es ja doch relativ wenig. Was kann ich im Tor-Netzwerk finden?

Dirk Pawlaszczyk: Es gibt diverse Informationen. Natürlich gibt es das, was wir häufig auch über die Presse übers Darkweb erfahren. Wir haben also tatsächlich kriminelle Inhalte zum Teil dort zu finden. Insbesondere werden dort auch Drogen angeboten. Es werden teilweise Waffen angeboten, auch kinderpornografische Inhalte. Das macht eigentlich im Grunde nur einen sehr kleinen Teil des Darkweb oder des Tor-Netzwerks aus. Es gibt viele ganz normale Angebote, die ich im Dark Web nutzen kann. Beispielsweise kann ich mich mehr oder weniger unbehelligt mit anderen über entsprechende Blogs unterhalten oder Chaträume betreiben. Ich kann sogar, wenn ich will, Schachspielen im Dark Web. Ich kann Dateien tauschen. Ich kann auch in Bibliotheken suchen nach Literatur.

Dagmar Weitbrecht: In einer Umfrage, die ich vorhin erwähnt habe, hat ein Mann gesagt: na, wenn's da so viele kriminelle Dinge gibt, dann sollte man das doch einfach abschalten. Das geht wohl nicht?

Dirk Pawlaszczyk: Das Problem ist, dass das Darkweb oder die darunter zusammengefassten Netze sind alle dezentral. Das heißt, sie bestehen nicht aus einem einen zentralen Punkt, bei dem ich einfach mal den Hauptschalter ziehen kann und damit das Netz abschalten kann. Sondern sie bestehen aus vielen Tausenden einzelner Knoten. Durch seine Dezentralität, das ist einer der großen Vorteile, ist es schwer überwachbar und auch schwer abzuschalten.

Dagmar Weitbrecht: Schwer überwachbar, das greife ich jetzt gerade mal auf. Die Umsätze auf diesen Marktplätzen im Dark Web haben sich ja vervielfacht und salopp gesagt, brauchen Kriminelle wahrscheinlich gar keine Angst zu haben, dass man ihnen so schnell auf die Schliche kommt. Warum müssen die so wenig befürchten, wenn sie dort aktiv sind?

Dirk Pawlaszczyk: Durch die die verwendeten Verschlüsselungstechnologien ist es so, dass die Betreiber solcher Plattformen davon ausgehen können, unerkannt zu bleiben. Und das sehr für sehr lange Zeit. Meist muss dann die Polizei versuchen, andere Wege zu finden, um die Anbieter zum Beispiel illegaler Inhalte trotzdem stellen zu können. Das geht dann meist weniger direkt über das Darkweb. Weil, wie gesagt, die Inhalte verschlüsselt sind, ihr Standort meist nicht bekannt ist. Man versucht dann, andere Mittel und Wege zu finden. Beispielsweise muss ja, wenn ich eine Waffe erwerben will im Darknet, diese irgendwann mal übergeben werden. Oder es muss dafür eine Zahlung erfolgen. Und anhand solcher Vorgänge kann ich, dann versuchen, dieser Leute, die dahinter stehen, auch tatsächlich habhaft zu werden.

Dagmar Weitbrecht: Trotzdem gibt es ja bei den Ermittlungsbehörden, ich will es mal Nachholbedarf nennen. Wo sehen Sie die größten Defizite oder Punkte, an denen aufgeholt werden muss?

Dirk Pawlaszczyk: Sicherlich haben wir noch immer einen Fachkräftemangel, auch in dem Bereich, das heißt, es sind noch zu wenig Polizeibeamte teilweise auch geschult, mit den Inhalten im Dark Web umzugehen. Das heißt, hier sind insbesondere Experten in den nächsten Jahren gefragt. Da ist eben ein neues Kriminalitätsphänomen, das jetzt erst seit einigen Jahren wirklich an Fahrt aufnimmt, wird hier also mehr an Ressourcen und Zeit investiert werden müssen von Seiten der Ermittlungsbehörden, was bislang wahrscheinlich auch noch nicht erkannt wurde. Mittlerweile ist der politische Wille da, und es ist aber auch der Wille da, hier etwas zu unternehmen. Das kann man an vielen Stellen sehen. Auch gibt es Gesetzesinitiativen hier aktiv zu werden. Insofern, er ist man dabei. Aber das heißt noch nicht, dass man das Problem wirklich im Griff hat.

Dagmar Weitbrecht: Das Tor-Netzwerk, bietet ja nicht nur Kriminellen Möglichkeiten. Sie hatten das im Gespräch jetzt schon erwähnt, sondern es ist ja auch eine wichtige Plattform für Journalisten, für Whistleblower oder auch für Dissidenten. Wie wichtig ist das Netzwerk für die Meinungsfreiheit aus ihrer Sicht?

Dirk Pawlaszczyk: Es ist tatsächlich immens wichtig, insbesondere eben in Ländern der Welt, wo wir Krisen haben, wo wir, sehr restriktiven Umgang seitens der Regierung mit anderen, nicht regierungskonformen Meinungen haben. Wo wir so was finden, gibt es häufig kaum Möglichkeiten, seine Meinung frei zu äußern. Das ist ein sehr hohes Gut. In einer freien Gesellschaft sollte es eben jedem möglich sein, seine Meinung auch kundzutun. Diese Möglichkeit haben viele nicht, und dafür ist das Tor-Netzwerk ein geeigneter Ort. Weil hier darf man im Prinzip auch seine Meinung äußern und mitteilen, ohne dass man jetzt Angst vor Verfolgung oder Beobachtung haben muss.

Dagmar Weitbrecht: Das Tor-Netzwerk ist ja vom amerikanischen Militär mit entwickelt worden und wird heute noch zu großen Teilen von den USA finanziert. Auf der anderen Seite versuchen gerade auch aus den USA Behörden wie die NSA möglichst viel mitzubekommen, was im Internet passiert. Sie hatten es gerade ja auch gesagt. Und in gewissem Sinne ist das ja ein ziemlich krasser Kontrast. Wie lässt sich das erklären?

Dirk Pawlaszczyk: Das ist nicht nur in den USA so, das ist selbst in Deutschland so. Auch die Bundesregierung hat ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu dem Thema. Zum einen wird der Datenschutz bei uns sehr groß geschrieben. Und gerade im Zusammenhang mit der Whistleblower-Affäre mit Edward Snowden hat sich der Bundesinnenminister auch zu der Aussage hinreißen lassen, dass er gesagt hat: "Bürger, Ihr müsst für eure Sicherheit auch zum Teil selber sorgen und solltet verschlüsselt kommunizieren." Auf der anderen Seite gibt es eben gerade aktuell im Jahr 2019 durch den Bundesrat einen Gesetzentwurf, der mehr oder weniger auch das Darknet versucht, ein bisschen einzuschränken an vielen Stellen, indem er zum Beispiel das Betreiben einer solchen Plattform unter Strafe stellen will. Also das heißt, dass unter Umständen Anbieter solcher Informationen oder Börsen im Darknet, sich künftig vielleicht sogar strafbar machen. Im Augenblick ist das Ganze noch nicht durch den Bundestag und das Parlament beschlossen. Aber es könnte so kommen. Und das heißt auch, dass ein Stück weit die Meinungsfreiheit sicherlich auch auf diese Art beschränkt wird.

Dagmar Weitbrecht: Antworten auf die Fragen Waffen, Drogen, Meinungsfreiheit wie dunkel ist das Darknet von Professor Dirk Pawlaszczyk. Vielen Dank für das Gespräch.

* Das Gespräch wurde am 10. Dezember 2019 an der Fachhochschule Mittweida aufgezeichnet.