Wahlurne mit Stimmzettel, zwei Hände geben sich die Hand vor einem Geldbündel, Pferdekopf mit Wahlkreuzchen
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Wahlkampf auf allen Kanälen Digitaler Wahlkampf in Sachsen

16. August 2019, 12:13 Uhr

Wahlkampf auf der Straße, an den Haustüren, mit Plakaten – das war gestern. Aktuell verlagert sich Wahlkampf immer mehr ins Internet. Wie stehen die Parteien zum digitalen Wahlkampf? Welche Trends gibt es? Wahlkampf kostet viel Geld, doch der Erfolg ist nicht selbstverständlich. Mit neuen Strategien sollen Wähler gewonnen werden.

Am 1. September sind Landtagswahlen im Freistaat Sachsen und der Wahlkampf nimmt Fahrt auf. Wahlkampf auf der Straße, an den Haustüren, mit Plakaten – das ist der klassische Wahlkampf. Dann gibt es auch ungewöhnliche Versuche der Parteien oder einzelner Kandidierender sich ins Gespräch zu bringen: als „Hutbürger“, mit Besuchen in der Kanalisation oder mit "nackten Tatsachen". Nicht mehr neu aber immer wichtiger ist für Parteien, was in Sachen Wahlkampf im Netz und in den sozialen Netzwerken passiert. MEDIEN360G hat vor der Landtagswahl die im sächsischen Landtag vertretenen Parteien und die FDP zum digitalen Wahlkampf befragt. Die Parteien gaben unterschiedlich ausführlich Auskunft. Die AfD-Sachsen hat sich im Rahmen der Umfrage nicht geäußert.

Um potentielle Wähler passgenau ansprechen zu können, nutzen immer mehr Parteien auch in Sachsen datengestützte Verfahren. So werden spezielle Apps für den Tür-zu-Tür-Wahlkampf genutzt. Hier werden mit Einwilligung der Befragten Angaben erfasst, die Aussagen zu Wahlkampfthemen oder einer möglichen Wahlentscheidung enthalten. Die CDU-Sachsen nutzt die CDU-connect-APP. Auch Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP verwenden solche digitalen Hilfsmittel.

Die CDU-connect-App wurde bereits 2014 in Jena entwickelt. 2017 nahmen die Entwickler nach Beanstandungen durch die Datenschutzbeauftragen in Thüringen und Berlin Nachbesserungen vor. Seitdem ist die App für Bundes- und Landtagswahlen im Einsatz. MDR Aktuell ließ durch Experten der Fachhochschule Mittweida die Wahlkampf-Apps von CDU, SPD und Grünen in Sachen Datenschutz überprüfen. Dabei wurden Mängel bei der Wahlkampf-App der Grünen festgestellt.

Woher kommen die Informationen über potentielle Wähler?

"Wer erfolgreichen Wahlkampf bestreiten will, muss auf Daten zurückgreifen“, sagt Valentin Blumert von der Firma Wahlkreisprognose. Blumerts Dienstleistung werde von allen im Bundestag vertretenen Parteien genutzt. Auch nach Sachsen hat er Wahlkreisprognosen verkauft. Während das Unternehmen hauptsächlich öffentlich zugängliche Daten von zurückliegenden Wahlen nutzt, sind für Parteien personenbezogene Daten wertvoll, um potentielle Wähler zielgerichtet ansprechen zu können. Solche Personendaten können mit den Wahlkampf-Apps oder Unterstützer-Datenbanken gesammelt oder bei verschiedenen Anbietern gekauft werden.

Neben der Posttochter postdirekt GmbH verfügen auch Städte und Gemeinden über personenbezogene Daten. Das Bundesmeldegesetz gestattet Parteien zu Wahlkampfzwecken Meldedaten von den Kommunen zu kaufen. Allerdings dürfen personenbezogene Meldedaten nicht mit kommerziellen Daten, die beispielsweise beim Online-Einkauf hinterlassen werden, abgeglichen werden. Das regelt u. a. die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Damit sind den Parteien enge Grenzen gesetzt.

Meldedaten sind für Parteien offenbar nicht mehr attraktiv

Bei einer Umfrage unter den 27 Städten in Sachsen mit mehr als 20 000 Einwohnern fragte MEDIEN360G, ob Parteien für den Landtagswahlkampf Meldedaten angefordert haben. Nur die Stadt Grimma gab an, dass die Meldebehörde Daten an die FDP übermittelt habe. Mehrere Städte wie zum Beispiel Leipzig und Freiberg haben entschieden, keinerlei Personendaten an Parteien weiterzugeben.

Die sächsischen Bürger vertrauen in der großen Mehrheit auf den sorgsamen Umgang mit Personendaten durch die Stadtverwaltungen und schränken deren Weitergabe nicht ein. So widersprachen in Reichenbach/Vogtland nur 1,6 Prozent der wahlberechtigten Einwohner der Weitergabe ihrer Meldedaten. Spitzenreiter bei den Widersprüchen ist die Stadt Radebeul, hier verweigerten mehr als ein Drittel der Einwohner die Weitergabe der Meldedaten. In den Großstädten Dresden und Leipzig waren es 15 bzw. 17 Prozent.

Wahlkampf im Netz

Porträt von Josef Holnburger 5 min
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Josef Holnburger ist Politikwissenschaftler und Mitautor der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über den digitalen Wahlkampf zur Europawahl 2019.

MDR FERNSEHEN Fr 02.08.2019 09:23Uhr 04:54 min

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Die Parteien haben die Potentiale des Wahlkampfs im Internet besonders in den sozialen Netzwerken erkannt, nutzen sie aber unterschiedlich. Das ergab eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über den digitalen Wahlkampf zur Europawahl 2019. Studien-Autor Josef Holnburger sagte MEDIEN360G im Interview:

Obwohl die Parteien SPD und CDU erkannt haben, dass es eine große Relevanz hat, den Wahlkampf auch in sozialen Netzwerken zu bespielen und deswegen auch sehr viel Geld in die Hand genommen haben, konnte dieses Geld nicht in Reichweite umgesetzt werden. Also es wird zunehmend schwerer, für gerade die CDU und SPD an (organische) Reichweite zu kommen. Das heißt, an Menschen, die auf natürliche Weise auf ihre Beiträge klicken und die entsprechenden teilen. Und es wird zunehmend auch schwerer für diese Parteien, selbst mit werbefinanzierten Beiträgen, großes Publikum zu erreichen.

Trotzdem intensivieren alle Parteien ihre Anstrengungen und setzen auf gezielte Werbung, dem so genannten Targeting beispielsweise auf Facebook. 

MEDIEN360G fragte die Parteien nach der Bedeutung des Wahlkampfs in den sozialen Medien und dem Budget, das sie dafür aufwenden.

Andreas Novak (FDP-Sachsen) zu MEDIEN360G „‚Klassische‘ Medienarbeit und die Nutzung sozialer Medien ist für uns aber kein Entweder-Oder. Wir denken stets vernetzt, wie wir auf beiden Wegen die Wählerinnen und Wähler optimal erreichen können. Insofern geht das Eine nicht zu Lasten des Anderen.“

Ähnlich positioniert sich die SPD-Sachsen.  

CDU Pressesprecher Alexander Szymanski betont gegenüber MEDIEN360G die Bedeutung der sozialen Netzwerke: „Hier findet Information, Diskussion und Meinungsbildung statt. Und wir wollen mittendrin sein“.

Alle Parteien sind auf Facebook, Twitter, Instagram und teilweise auf Youtube aktiv. Die Analyse der Europawahlen hat ergeben, dass sich die Bedeutung der Plattformen für den Wahlkampf verändert hat.

„Instagram ist spätestens seit dieser Wahl zu einer der wichtigsten und relevantesten Plattformen für die politische Kommunikation geworden. Die Anzahl der Likes und Kommentare übertrifft bei vielen Spitzenkandidat_innen die Interaktionen auf den viel länger bestehenden und größeren Facebookseiten. Zudem fand Europa inhaltlich am stärksten auf Instagram statt. (FES-Studie, S. 2)

Wahlkampfkosten

Parallel zu den Anstrengungen wächst auch der Etat für den digitalen Wahlkampf. Auf Anfrage von MEDIEN360G antworteten die Parteien zurückhaltend. Die FDP wendet  für die Landtagswahl 600 000 Euro auf, 20 Prozent davon für den digitalen Wahlkampf. Die CDU-Sachsen nennt MEDIEN360G keine konkreten Zahlen, hat aber den Anteil für digitalen Wahlkampf im Wahlkampfbudget verdoppelt. Laut dem Dresdener Medien-Blog Funkturm beauftragte die Partei das Campaigning Bureau aus Wien, das auch den Wahlkampf für Sebastian Kurz betreute. Die SPD-Sachsen arbeitet mit der Dresdener Agentur Oberüber Karger und wird für den Landtagswahlkampf eine Million Euro aufwenden. Grüne und Linke haben Berliner Agenturen für die Kampagnenplanung engagiert.  

Bei der Frage in wie weit der Wahlkampf im Internet das Wahlverhalten beeinflusst, sind sich Wahlbeobachter uneinig. Der Politik- und Strategieberater Martin Fuchs relativiert die Bedeutung: „Wenn man sich anschaut, wie groß der Online-Wahlkampf und der Einfluss dessen ist, ist (das) immer sehr schwer zu messen…Wenn wir uns allein anschauen, wie viele Leute in Deutschland ausschließlich ihre Informationen zum Beispiel über Facebook konsumieren, ihre Nachrichten, dann sind das unter zwei Prozent der Bevölkerung. Das heißt also ganz viele andere Quellen sind ganz entscheidend und ganz wichtig, um eine Wahlentscheidung zu treffen.

Andere Studien ermitteln einen höheren Prozentsatz derer, die sich überwiegend bei Facebook aktuell informieren. Die Deutschland-Auswertung des Reuters Institute Digital News Report 2019 zeigt unter anderem auf:

Ab der Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren ist der Anteil derer, die das Internet als Hauptnachrichtenquelle nutzen, größer als der des Fernsehens. Für 69 Prozent der 18- bis 24-Jährigen ist das Internet die wichtigste Nachrichtenquelle. Das entspricht einem Anstieg von zehn Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr 2018.

Hauptinformationsquelle für Nachrichten ist mit Abstand die Tagesschau der ARD. 48 Prozent der Befragten der Reuters-Studie schauen mindestens einmal pro Woche die Sendung. Bei den Online-Angeboten stehen Spiegel-Online, T-Online und Focus-Online an der Spitze. (Reuters-Studie S. 21 ff.)

Die sozialen Medien werden nicht in erster Linie mit journalistischen Nachrichten in Verbindung gebracht. 22 Prozent der Nutzer konsumieren Nachrichten am ehesten auf Facebook, gefolgt von 19 Prozent bei Youtube.

In der langfristigen Betrachtung wird deutlich, dass Facebook zwar weiterhin das soziale Medium ist, über welches Nutzer am ehesten in Kontakt mit Nachrichteninhalten kommen, dass aber die Anteile in den vergangenen Jahren tendenziell rückläufig sind.

Doch gerade in Wahlkampfzeiten ist es interessant zu beobachten, wie die Parteien oder einzelne Politiker in den sozialen Netzwerken agieren. Hierzu finden Sie Informationsangebote beim politicaldashboard oder auch bei Facebook direkt. Diese Datenbanken ermöglichen einen ganz aktuellen Blick auf die Werbeausgaben der Parteien oder von einzelnen Kandidierenden auf Facebook bzw. zeigen politische Trendthemen oder Reaktionen auf die Seiten der Parteien in Onlinemedien, auf Facebook und Twitter auf.

Weitere Informationen zum Wahlkampf für die Landtagswahl in Sachsen finden sie hier, hier und bei MEDIEN360G.