Camera Obscura
Diese Bild von 1874 zeigt die Funktion einer Camera Obscura. Bildrechte: IMAGO / Gemini Collection

Der Redakteur | 24.05.2023 Das "Phänomen von Blankenhain"

24. Mai 2023, 19:21 Uhr

Bei uns steht noch ein altes Abrisshaus. Die Fenster sind ausgehängt, also ohne Scheiben und zugenagelt mit OSB-Holzplatten. Einige haben ein Loch von circa zehn Zentimeter Durchmesser. Wenn man in den dunklen Raum des Hauses geht, spiegeln sich bei Sonnenschein an den Wänden die gegenüberliegenden Häuser und an der Decke die Straße. Wie geht das? - will Maria Werner aus Blankenhain wissen.

Das "Phänomen von Blankenhain" beschäftigt die Gelehrten schon seit Jahrhunderten. Ein dunkler Raum, ein kleines Loch, durch das Licht fällt und plötzlich baut sich an den Wänden die Außenwelt auf. Von Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christi weiß man, dass er das Prinzip bereits erkannt hat. Die erste überlieferte Beschreibung des Phänomens stammt auch aus dieser Zeit. Der arabische Mathematiker und Astronom Alhazan hat mehr als tausend Jahre später dort angesetzt und am Ende waren es europäische Gelehrte, die Alhazans Erkenntnisse weiterentwickelten.

Der Camera-Obscura-Effekt

Das Phänomen der "Wandmalereien" wird als Kamera-Loch-Effekt oder auch Camera-Obscura-Effekt bezeichnet. Die Entdeckung wird vermutlich so ähnlich abgelaufen sein wie in Blankenhain. An den Wänden einer Höhle oder Hütte spiegelte sich das Geschehen draußen wider, wenn Sonnenlicht durch ein kleines Loch in den Raum gelangte. Dass die Menschen damals maximal verunsichert waren, das kann man nur vermuten.

Dabei passiert physikalisch nichts anderes als in unserem Auge. Da ist das Loch (im Auge die Pupille) und zusammen mit der Linse entsteht ein "Objektiv", das an der Wand (im Auge die Netzhaut) ein gespiegeltes und auf dem Kopf stehendes Bild der Außenwelt erzeugt. Unser Gehirn dreht alles dann wieder um.

Schon im 12. Jahrhundert haben Astronomen die Camera Obscura genutzt, um die Sonne zu beobachten. Irgendwie hatte man wohl das Gefühl oder die Erkenntnis, dass es nicht gesund ist, direkt in die große Lampe zu schauen. So entstanden erste Apparaturen, die - wenn man so will - als Vorläufer unserer Fotoapparate angesehen werden können, nur hatte man damals noch nichts, das das entstandene Bild "festgehalten" hätte.

Wie entsteht das Bild?

Eigentlich ist das Bild eines Gegenstandes nur eine Lichtreflektion, erklärt uns Günther Kirschner, Ex-Lehrer aus Meiningen. Er ist jetzt zwar im Ruhestand, hat aber Generationen von Schülern unter anderem die Physik und damit auch die Optik nahegebracht - und zwar in der siebten Klasse mit genau diesem Camera-Obscura-Experiment. Er erklärt es am Beispiel eines Nagels, der in der Fassade steckt und als Abbild in dem Raum landet.

Sie sehen das Bild des Nagels, weil von dem Nagel Licht reflektiert wird. Ob das nun von der Sonne stammt oder einer Lampe, das spielt keine Rolle.

Günther Kirschner, ehemaliger Physiklehrer aus Meiningen

Genau genommen sorgt die Oberfläche des Nagels dafür, dass der größte Teil des weißen Sonnenlichts verschluckt und in diesem Fall nur der gräuliche Anteil reflektiert wird. Wir sehen dann eben die gräuliche Farbe des Nagels. Dieser farbige Lichtstrahl geht durch das kleine Loch und trifft auf die Wand im Innern des dunklen Raumes. Nun besteht eine Häuserzeile aus ganz vielen "Nägeln", also Bildpunkten, die allesamt "in ihrer Farbe" Licht reflektieren. Fertig ist das Bild.

Allerdings wird das Bild nur dann richtig scharf, wenn das Loch die richtige Größe hat und die Abstände stimmen. Nichts anderes stellen wir am Objektiv eines Fotoapparats ein. Ein unscharfes Bild braucht keiner. Wird das Loch zu groß, verschwimmen die Bildpunkte immer mehr und machen wir das Fenster auf, ist es einfach nur noch hell im Raum.

Junge vor einer Schuletafel. 7 min
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Günther Kirschner aus Meiningen ist ehemaliger Physiklehrer. Er kann erklären, was in dem alten Abrisshaus in Blankenhain vor sich geht.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 24.05.2023 15:04Uhr 07:01 min

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Warum steht das Bild auf dem Kopf und ist auch noch spiegelverkehrt?

Bei Prof. Gerhard Paulus lernen die Studenten in Jena viel über die Grundlagen der Optik. Prof. Paulus nimmt einen Kirchturm als Motiv, der in dem Raum dann eben als Wandbild spiegelverkehrt auf dem Kopf steht. Das liegt daran, dass sich die "einzelnen Lichtstrahlen" unserer Nägel geradlinig ausbreiten.

Der Strahl von der Kirchturmspitze kommt von schräg oben, geht durch das Loch und landet dann natürlich auf dem Boden.

Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhard G. Paulus Institut für Optik und Quantenelektronik Uni Jena

Sonst müsste er ja am Loch quasi wenden, um auch wieder oben zu landen. Und genauso ist es mit den "Nägeln" vom Boden, die an der Decke landen, die von rechts landen demzufolge links, fertig ist das völlig verdrehte Bild.

Physik kann so schön sein

Wenn Physik doch nur immer so spielerisch dargeboten werden würde, dann hätten wir mehr Spaß in der Schule und würden alles vielleicht auch besser verstehen. Ex-Lehrer Günther Kirschner bemerkte in einem Nebensatz, dass er noch aus einer Zeit stamme, "als es noch ordentliche Physik gab". Und die Kinder auch noch ordentlich lesen und schreiben lernten, mag man gleich hinterher schieben angesichts der erschreckenden Schwächen unserer Viertklässler, wie gerade die IGLU-Studie gezeigt hat. Prof. Gerhard Paulus braucht keine Studien, um festzustellen, dass auch die mathematischen Grundlagen der Physikstudenten nicht so sind, wie sie sein müssten.  

Sonnenaufgang in Deutschland 18 min
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Wir haben schon immer einen mathematischen Vorkurs für die Studenten angeboten. Und in den letzten Jahren ist es nötig geworden, einen Vor-Vorkurs anzubieten.

Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhard G. Paulus Institut für Optik und Quantenelektronik Uni Jena

Sein Lieblingsexperiment für die Studenten ist das Phänomen der schwarzen Scheibe, die man vor die Sonne hält und die natürlich einen Schatten wirft. Dass an der eigentlich dunkelsten Stelle des Schattens in der Mitte ein heller Lichtfleck entsteht, das erklärt er nicht nur seinen Studenten, sondern auch im Audio-Interview mit MDR THÜRINGEN. Und mit Günther Kirschner basteln wir eine Camera Obscura. Es muss nicht gleich ein ganzes Haus sein als Versuchsobjekt. Essen Sie schon mal eine Büchse Kartoffelchips leer.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 24. Mai 2023 | 15:00 Uhr

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