Sa 18.05. 2024 11:00Uhr 60:00 min

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MDR KULTUR - Das Radio Sa, 18.05.2024 11:00 12:00
MDR KULTUR - Das Radio Sa, 18.05.2024 11:00 12:00

MDR KULTUR trifft Birgit Neumann-Becker

MDR KULTUR trifft Birgit Neumann-Becker

Pfarrerin, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED Diktatur in Sachsen-Anhalt a.D.

  • Stereo

Seit 2013 war Birgit Neumann-Becker Landesbeauftragte, zunächst für die Stasi-Unterlagen, dann und bis April 2024 Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Der Jurist und Historiker Johannes Beleites übernimmt nun dieses Amt. Einer der Arbeitsschwerpunkte von Birgit Neumann-Becker lag im Dialog zwischen jungen Menschen und Zeitzeugen, dem Anliegen, den Menschen, die ihre Behörde aufsuchten, genau zuzuhören, welche Themen sie bewegen.

Betroffenen der SED Diktatur konnte Birgit Neumann-Becker jüngst die gute Nachricht überbringen, daß der Landtag von Sachsen-Anhalt für sie in diesem Jahr 100.000 Euro über einen Härtefallfond zu Verfügung stellt, doppelt so viel Geld wie im vergangenen Jahr. Das könnte auch Frauen zugutekommen, die wegen angeblicher Geschlechtskrankheiten wochenlang in Kliniken der DDR eingesperrt und mißhandelt wurden. Seit gut zehn Jahren weiß auch Birgit Neumann-Becker um solche Fälle und den Stand der eben solange währenden wissenschaftliche Forschung. Zwischen 1961 und 1989 waren es tausende Frauen und Mädchen ab dem 12. Lebensjahr, die meist gesund in geschlossenen venerologischen Stationen zwangseingewiesen und isoliert wurden. Sie sollten zu "Sozialistischen Persönlichkeit" erzogen zu werden. Nach umfangreichen Recherchen ist in der MDR/ ARD Mediathek die Dokumentation "Tripperburg" - Gewalt gegen Frauen in der DDR zu sehen. und der Podcast "Diagnose: Unangepasst - Der Albtraum Tripperburg" zu hören. MDR Kultur sendet alle sechs Folgen immer am Samstag ab 22.00 Uhr.

Ihre Bewerbung für die Stelle als Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen begründete Birgit Neumann-Becker damals mit ihrer Biografie. Bereits als 17-Jährige bekam sie die ganze Macht des Staates zu spüren. Sie hatte in den 1980er Jahren, als die atomare Aufrüstung in Ost und West auf ihren Höhepunkt zusteuerte, den Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" getragen und wurde daraufhin zum Schuldirektor und zum Verhör bei der Polizei vorgeladen.

In Polen war zu diesem Zeitpunkt der Kriegszustand ausgerufen worden. Birgit Neumann-Becker erlebte in Görlitz wie Panzer über die Grenze fuhren. Für sie stand fest: "Das mache ich nicht mit." Eine Entscheidung mit Konsequenzen. Ab dem 21sten Lebensjahr wurde Birgit Neumann-Becker für die Staatssicherheit zum Beobachtungsobjekt. Anfang der 90er Jahre erfährt sie aus ihren Stasi-Unterlagen von dem perfiden System: Von der Stasi ab 1984 bearbeitet als OPK "Begine", ab Juli 1985 OV "Begine", Gruppe Frauen für den Frieden: OV "Wespen". Mit ihrem Amtsantritt machte Birgit Neumann-Becker klar, ihr geht es um Aufarbeitung, um das Aufdecken von Mechanismen einer Diktatur. "Es geht darum, ein Geschichtsbild zu transportieren. Das können wir nur, wenn wir die Diktatur verstanden haben, in allen Facetten."

In Görlitz wurde Birgit Neumann-Becker 1963 geboren, in der niederschlesischen Oberlausitz wuchs sie auf. Lehrerin wollte sie werden, jedoch nicht unter den auferlegten Zwängen. So studierte Birgit Neumann-Becker von 1982 bis 1988 in Halle Theologie, engagierte sich in der Evangelischen Studentengemeinde und in der Gruppe "Frauen für den Frieden", die sich gegen die zunehmende Militarisierung vor dem Hintergrund des zugespitzten Ost-West-Konfliktes wendeten. Im Herbst 1989 übernahm Birgit Neumann-Becker die Mitgestaltung und Mitverantwortung für die Montagsgebete in der Wittenberg- Schlosskirche und leistete in Halle Unterstützung bei den Mahnwachen in der Georgengemeinde. Nach der politischen Wende absolvierte sie Ausbildungen zur Religionspädagogin, Erwachsenenbildnerin, Schriftpsychologin und Supervision. Sie wirkte u.a. als Pfarrerin in Magdeburg und Kreisschulpfarrerin in Merseburg. Ab 2013 war Birgit Neumann-Becker Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt und von 2017 bis April 2024 Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Ab Sommer 2024 ist Birgit Neumann-Becker Direktorin des Prediger-Seminars in Wittenberg.
Mitwirkende
Redaktion: Angelika Zapf