Das Altpapier am 24. Juli 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau.
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 24. Juli 2023 Datenhoch statt Sommerloch

Das Sommerloch ist da. Während das für die meisten Redaktionen eine erschwerte Themensuche bedeutet, geht es für andere jetzt so richtig los: In den vergangenen Wochen ist die datenjournalistische Berichterstattung rund ums Klima deutlich in den Vordergrund gerückt – ein paar Wünsche an den Klimadatenjournalismus. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Leuchtturm-Datenredaktion bei "Zeit Online"

Ein Globus mit rot bis dunkelrot eingefärbten Ländern, eine Deutschlandkarte mit immer blass-blauer werdenden Regionen, Diagramme mit Linien, die steil nach oben gehen: Der klassische Klimajournalismus (wenn es sowas überhaupt gibt) wird immer stärker mit visualisierten Daten und Fakten unterstützt.

Doch was und wie passiert es, wenn sich Medienunternehmen eine datenjournalistische Abteilung leisten? Ein Blick in die großen Zeitungsverlage ergibt ein gemischtes Bild:

Die Leuchtturm-Datenredaktion sitzt zurzeit wohl bei "Zeit Online". Regelmäßig erscheinen dort datenjournalistische Geschichten, nicht nur, aber vor allem zum Klimawandel. Wenn sie nicht gerade auf der Startseite zu finden sind, dann über Umwege, über das Twitter-Profil von Julius Tröger zum Beispiel. Er ist Leiter des Ressorts Daten und Visualisierung bei "Zeit Online". Oder über diesen Link, auch den habe ich in Julius Trögers Twitter-Profil gefunden. Keine Ahnung, wie man sonst zu dieser Übersicht kommt – aber dazu später mehr. 

Die Redaktion bei "Zeit Online" hat es verstanden, ihre Leser gleich unter der Überschrift mit einer ästhetischen Visualisierung zu catchen: Ein Globus, von gelb bis lila wie mit Aquarellfarbe bemalt, bewegt sich mit der Scroll-Bewegung der Maus, nebenrein fliegt ein Textkasten, maximal zwei Sätze pro Kasten, dann wird weiter gescrollt, der Globus dreht sich weiter Richtung Süden, die Aquarellfarbe wird dunkler, das nächste Texthäppchen erscheint.

Was klingt wie eine liebevolle Computerspiel-Animation, ist Datenjournalismus, der toll aussieht und damit nicht nur zum Rezipieren, sondern zum Entdecken der Daten einlädt.

Interaktiver und individueller Journalismus bei der "SZ"

Schon während der Corona-Pandemie hatte Datenjournalismus ein Hoch, Corona-Dashboards mit Impfquote, 7-Tage-Indizenz und Co waren auf nahezu jeder Medienseite zu finden, oft mit der Möglichkeit, den eigenen Landkreis auf der Deutschlandkarte anzuklicken und individuell zugeschnittene Daten abzurufen. Das machte die trockenen Daten nahbar – genau wie jetzt.

Das weiß offenbar auch das datenjournalistische Team der "Süddeutschen Zeitung", das seinen Lesern gleich mehrere interaktive Klima-Tools anbietet. Auf ihrer Themenseite zur Klimakrise findet sich ganz oben erstmal ein Dashboard, wie wir es so ähnlich auch aus der Corona-Pandemie kennen: Das aktuelle Wetter in Deutschland im Vergleich zum Ende des letzten und Anfang des aktuellen Jahrtausends, der Anteil des erneuerbaren Stroms, ein Ticker, bis wann das CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel aufgebraucht ist und so weiter.

Wer weiter nach unten scrollt, entdeckt ein interaktives Liniendiagramm, das die Klimazukunft für den eigenen Wohnort bis 2100 prognostiziert. Der Klimarechner, den ich zwar nicht auf der Themenseite, aber über einen anderen verlinkten Artikel entdeckt habe, berechnet die möglichen Einsparungen in CO2 und Euro beim eigenen Mobilitätsverhalten. Und eine aufwendige datenjournalistische Visualisierung beleuchtet neben dem eigenen Wohnort auch Ecken Deutschlands, in denen es besonders warm oder trocken ist.

Wo sind sie denn, die großen Datenprojekte?

Während die Klimadaten-Projekte von "FAZ" und "BILD" nicht weiter erwähnenswert sind (weil nicht vorhanden, zumindest nicht nach längerem Suchen auf der Homepage) und der "Spiegel" laut seiner eigenen Themenseite zum Datenjournalismus in diesem Jahr tatsächlich noch keins veröffentlicht hat, ist die "Berliner Morgenpost" aus mindestens zwei Gründen hervorzuheben:

Erstens: Direkt zwischen "Polizeibericht" und "Politik" befindet sich der Reiter "Interaktiv" auf der Startseite. Alle großen interaktiven Geschichten sind dort gesammelt und auf dem neuesten Stand – etwas, wovon sich "Zeit Online", "SZ" und Co gerne mal eine Scheibe abschneiden könnten:

Die bereits oben beschriebenen Umwege oder Extra-Themenseiten, deren Link man nur kennt, wenn man dort arbeitet oder jemanden kennt, der dort arbeitet, erschweren es den Lesern doch nur, auf die Geschichten aufmerksam zu werden. Bei der "SZ" werden wenigstens andere große Datenprojekte am Ende eines solchen verlinkt – dafür muss man das erste aber auch erstmal finden. Nur, wer wühlt sich durch eine Medienseite, um endlich auf ein Datenprojekt zu stoßen?

Datenjournalistische Projekte sind meist sehr aufwendig, auch weil es oft lange dauert, bis bestimmte Daten in der Redaktion landen, bevor sie überhaupt ausgewertet werden können. Umso besser wäre es doch, wenn diese Recherchen nicht nur für ein paar Stunden nach Veröffentlichung auf der Startseite zu sehen sind, sondern über eine eigene, nicht versteckte Seite auf der Website auch später noch leicht aufzufinden sind – wie bei den anderen Ressorts eben auch. Vor allem, weil datenjournalistische Projekte länger aktuell sind als nur für ein paar Stunden – siehe Klima oder Corona.

Liegt alles versteckt hinter der Paywall?

Zweitens (wieder zurück zur "Berliner Morgenpost"): Der Wetter-Klima-Vergleich oder der Tetris-CO2-Rechner sind beides aufwendige datenjournalistische Projekte – und ohne Paywall oder Plus-Zugang zu lesen. Bis auf das oben genannte Klima-Dashboard und den Klimarechner der "SZ" sind dort alle anderen Projekte nur mit Plus-Zugang möglich – ebenso bei "Zeit Online" und beim "Spiegel".

Verständlich, angesichts des Aufwands, der hinter solchen Recherchen steckt. Trotzdem schade: Es wäre ein großes Aushängeschild für den Datenjournalismus im Allgemeinen, würden manche Geschichten nicht oder zumindest nicht gleich zu Beginn hinter die Paywall gesteckt werden. Nur so wissen Nicht-Abonnenten, was sie verpassen. Die interaktiven Möglichkeiten solcher Datenprojekte werden meist nicht aus nur Vorschaubild und Titel ersichtlich.

Sind die Daten medienübergreifend vergleichbar?

Eine Sache, die aber sowohl die "Berliner Morgenpost" als auch "SZ" und "Zeit Online" gemeinsam haben: Sie alle erklären ihre Methodik, geben einen Einblick in die Daten, die sie da visualisieren, und stellen in FAQs Antworten zu den wichtigsten Fragen bereit.

Was jedoch auffällt: Es werden nicht immer die gleichen Daten zum Jahresvergleich bei etwa Temperaturanstiegen herangezogen: Die "Süddeutsche" verwendet als Vergleichszeitraum die Jahre 1981 bis 2010, bereitgestellt vom Deutschen Wetterdienst. "Zeit Online" verwendet für seine globalen Projekte die Periode von 1979 bis 2000, bereitgestellt von der NOAA, der Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA. Bei der "Berliner Morgenpost" kann man den Zeitraum aus einem etwas versteckten Drop-Down-Menü selbst auswählen, entweder von 1961 bis 1990 oder von 1991 bis 2000, ebenfalls Daten vom Deutschen Wetterdienst.

Warum ist das überhaupt wichtig? Die "Berliner Morgenpost" erklärt das ganz gut:

"Warum wird mit "1961 bis 1990" oder "1991 bis 2020" verglichen? Die Weltwetterorganisation WMO hat als aktuelle Klimanormalperiode die 30 Jahre von 1991 bis 2020 festgelegt. Sie steht für das "erlebte" Klima in der Erinnerung vieler. Die Periode von 1961 bis 1990 steht für die Zeit vor dem vollen Einsetzen des Treibhauseffektes. Die Durchschnittswerte dieser Periode ziehen Meteorologen für langfristige klimatologische Einordnungen heran."

Wünschenswert wäre also, wenn nicht einfach die Vergleichszeiträume verwendet werden, die in den Daten sowieso vorliegen, sondern wenn sich generell an einem Standard, wie dem von der Weltwetterorganisation, orientiert wird, um zwischen verschiedenen Medien eine bessere Vergleichbarkeit zu schaffen.

Übrigens: Klimadatenjournalismus gibt es auch bei den öffentlich-rechtlichen, etwa bei Quarks vom WDR. Aber nicht nur bei den großen Playern werden Klimadaten visualisiert, auch lokale Medien wie die Stuttgarter Zeitung oder die Leipziger Volkszeitung machen das für ihre Region – wenn auch noch nicht ganz so aufwendig. Das ist auch klar: Datenjournalisten muss man sich erstmal leisten können. Krisen wie Corona-Pandemie oder Klimawandel sollten jedoch gezeigt haben: Es lohnt sich, auch für die nächsten Krisen, in Datenjournalismus zu investieren.


Altpapierkorb (Aus Twitter wird X, Ärger auf Reddit, Befragung zu Journalismus und Parteinähe)

+++ Mal wieder neue Twitter-News: Elon Musk möchte offenbar das iconic Vogel-Icon von Twitter in ein "X" umändern. Musk twitterte laut futurezone.at am Sonntag: "Wir werden uns bald von der Marke Twitter und allmählich auch von allen Vögeln verabschieden." Musks Profilbild wurde schon zu einem "X" ausgetauscht und die URL x.com führt zur Twitter-Startseite. Jetzt muss er nur noch den Namen von Twitter ändern und die Destruktion ist perfekt.

+++ Nicht nur bei Twitter gibt es Verärgerung um Veränderungen: Auch bei Reddit verschwinden immer mehr Möglichkeiten und Funktionen, wie Axel Weidmann in der "FAZ" berichtet.

+++ Wie beeinflusst die Parteineigung die Nutzung und Wahrnehmung von Medien? Eine aktuelle repräsentative Befragung der TU Dortmund zeigt, dass die verschiedenen Lager den Journalismus eher am jeweils gegenteiligen politischen Lager verorten würden. Anhänger von CDU und AfD empfinden den Journalismus als "grün", SPD- und Grünen-Anhänger genau andersherum. Auf der Seite des European Journalism Observatory gibt es mehr über die Studie zu lesen. +++

Das Altpapier am Dienstag schreibt Christian Bartels.

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