Das Altpapier am 17. Januar 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
Autorin Annika Schneider berichtet im Altpapier vom 17. Januar über die aktuellen Medienthemen. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 17. Januar 2023 Fünf Sätze Dürre

17. Januar 2023, 11:30 Uhr

Dass Verteidigungsministerin Lambrecht ihren Rücktritt nur mit einem "Wisch" begründet, kommt nicht gut an. Neue Zahlen von ProQuote zeigen: Bei einem bekannten überregionalen Medium lag der Frauenmachtanteil bei null Prozent. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Lambrecht bietet keine Gelegenheit für schlechte Antworten

"Dürre" war gestern eines der Buzzwords der Medienberichterstattung, und das hatte ausnahmsweise nichts mit der Klimakatastrophe zu tun. Denn als "dürr" bezeichneten Medien bis hin zur eigentlich streng neutralen Primetime-Ausgabe der "Tagesschau" das schriftliche Statement von Christine Lambrecht, mit dem sie ihren Rückzug aus dem Verteidigungsministerium begründete.

Die Ansicht, dass sich die SPD-Politikerin in einer Pressekonferenz noch einmal den Fragen der Journalistinnen und Journalisten hätte stellen müssen, die seit Tagen ihren Rücktritt herbeischreiben, ist unter Kolleginnen und Kollegen weit verbreitet. Annika Leister kommentierte bei t-online:

"Statt sich vor Kameras zu verabschieden und so dem derzeit wichtigsten Ministeramt in der Bundesregierung wenigstens ein wenig Ehre zu erweisen, reicht Lambrecht ihren Rücktritt schriftlich ein. Ein Wisch, tüdelü, das war es dann."

In einer Pressekonferenz hätte sich die gescheiterte Ministerin noch die eine oder andere direkte Frage stellen lassen müssen. Was das gebracht hätte, ist fraglich: "Finden Sie auch, dass Sie Fehler gemacht haben?" – "Hätten Sie das Amt nicht von Anfang an ausschlagen sollen?" – "Haben Sie noch eine letzte Botschaft an die Soldatinnen und Soldaten?" Schwer vorstellbar, dass die Antworten darauf einen echten Mehrwert geliefert hätten.

Auch in der Bundespressekonferenz war die Abhandlung des Themas eher zäh (anzuschauen bei Jung&Naiv). Besser scheint es mir, die 13 Amtsmonate stattdessen in Ruhe und sachbezogen medial aufzuarbeiten. Außerdem hat sich Lambrecht in einer ohnehin schon schwierigen Situation vermutlich einiges erspart: Bei einer Bundesministerin, deren Kommunikation irgendwo zwischen glücklos und unprofessionell anzusiedeln ist, ist kaum zu erwarten, dass eine wie auch immer geartete Pressekonferenz sie vor dem vernichtenden Urteil der Kommentatorinnen und Kommentaren hätte bewahren können.

Im schlimmsten Fall wäre es gelaufen wie bei der ehemaligen Bundesfamilienministerin Anne Spiegel, die im April kurz vor ihrem Rücktritt vor laufenden Kameras private Details aus ihrem Familienleben preisgab (Altpapier). Dafür wurde sie vom Kommunikationsberater Johannes Hillje zum "Negativbeispiel der politischen Kommunikation" (Deutschlandfunk) gekürt, am Rücktritt änderte der in seiner Hilflosigkeit schwer zu ertragende Auftritt nichts.

Der Häme-Pegel ist hoch

Wenn man sich nun die Gründe für Lambrechts Entscheidung ansieht, geht es um zwei verschiedene Ebenen – eine fachlich-politische und eine kommunikative. Hauptgrund war wohl ihr "politisches Handeln, das eher ein Unterlassen war", wie es ein Autorenteam in der FAZ formulierte. Hinzu kommt Kritik an diversen, eher kleineren Vorkommnissen: Schlagworte von "Helikopterflug" bis "Silvestervideo" vermitteln fast den Eindruck, allein letztere wären ausschlaggebend gewesen. Die "Heute"-Redaktion im ZDF ließ sich davon nicht beirren und listete gestern in den 19-Uhr-Nachrichten gewissenhaft erst die fundierte politische Kritik auf, bevor es um die "Fettnäpfchen" ging.

Die "Tagesschau" machte es genau anders und damit aus meiner Sicht falsch herum. Denn Lambrecht muss eben nicht zurücktreten, weil sie ihr Ressort zwar grundsolide verwaltet hat, aber leider zum falschen Zeitpunkt ein Insta-Video aufgenommen. Sondern weil es Anzeichen gab, dass sie mit dem Amt – noch dazu in der aktuellen Krisensituation – überfordert war. Die Kommunikationspannen lassen sich nicht nur als Kompetenzdefizit, sondern auch als Symptom ihrer Überforderung lesen.

Medien als Sündenbock

Neben den Pannen und der nicht gewährten Pressekonferenz lieferte der Rücktritt noch einen zweiten Anlass für Redaktionen, einen Erregungsgang höher zu schalten: In ihrem erwähnten "dürren Statement" gab Lambrecht den Medien eine Mitschuld an ihrem Rückzug – oder vielmehr die alleinige Schuld, da sie eigene Fehler nicht eingestand.

"Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu. Die wertvolle Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und der vielen motivierten Menschen im Geschäftsbereich muss im Vordergrund stehen."

Dass die Ministerin damit keinerlei Verantwortung für eigene Fehler übernahm, wurde fast überall kritisiert. Der Journalist Michael Pantelouris warf Lambrecht außerdem bei "Übermedien" vor, sie habe sich nur noch darauf konzentriert, wie sie medial besser rüberkommen könne.

"Lambrecht hat also durchaus auch recht, wenn sie sich unfair behandelt fühlt. Sie versteht nur die Gründe falsch. Lambrecht war eine erfolgreiche Politikerin und Ministerin, sowohl im Justiz- als auch im Familien-Ressort. Sie kann eine Behörde führen. Ihr fehlt nur offensichtlich das Gespür für ihre Außenwirkung."

Zuletzt seien an dieser Stelle noch zwei Tweets zitiert. Die SPD-Parteikollegin Sawsan Chebli schrieb gestern Nachmittag unter dem Hashtag #LambrechtRuecktritt:

"Vergessen alle zu oft, dass hinter Politiker:innen und Leute, die öffentlich sind, am Ende auch echte Menschen stehen, die Gefühle und eine Familie haben. Ziemlich brutal alles hier."

Und auch "Zeit"-Journalist Martin Machowecz stellte fest:

"Nach verkündeten Rücktritten finde ich es dann aber auch gut und insgesamt etwas eleganter, wenn der Häme-Pegel schnell wieder deutlich sinkt."

Beide Tweets ernteten leider kaum Likes oder Retweets. Wenn eine Politikerin freiwillig ihren Rücktritt verkündet, weil sie sich einer Aufgabe nicht gewachsen fühlt, dann ringt mir diese Entscheidung trotz aller Kritik auch Respekt ab (auch, weil viele andere ähnliche Situationen stur ausgesessen haben). Und wenn Lambrecht nun allzu heftig nachgetreten wird, dann muss man sich nicht wundern, dass Politik vielen schon jetzt als äußerst unattraktives Berufsfeld gilt.

Das Berichterstattungskarussell dreht sich indessen weiter. Die Aufregung über Lambrechts Statement dauerte ein paar Stunden an, dann rückte eine andere Frage in den Vordergrund: die nach ihrer Nachfolge.

Auch das letzte Medium will bald Frauen einstellen

"Es bessert sich, aber es bessert sich eben wirklich sehr langsam."

Das sagte die Journalistin Ulrike Trampus gestern bei @mediasres im Deutschlandfunk zur Frage, warum sie als Chefredakteurin einer Lokalzeitung, nämlich der "Ludwigsburger Kreiszeitung", weiterhin eine von sehr wenigen Frauen auf diesem Posten ist (nachzuhören hier). Der Verein ProQuote hat dazu gestern neue Zahlen vorgelegt. In einer angereicherten dpa-Meldung heißt es bei "Spiegel online":

"Die Zahlen beziehen sich auf 2022, Grundlage sind vor allem Angaben des jeweiligen Impressums. Betrachtet wurden unter anderem 97 Regionalzeitungen, zehn überregionale Zeitungen und Zeitschriften (Leitmedien), mehr als 60 Publikumszeitschriften und 100 journalistische Onlineseiten."

Die Ergebnisse zeigen: Die von dem Verein entwickelte Messgröße "Frauenmachtanteil" hat sich sowohl bei Regionalzeitungen als auch bei Leitmedien deutlich verbessert, ist aber von der paritätischen Verteilung, die der Verein fordert, weit entfernt. Auch bei Online-Medien sind nicht einmal ein Drittel der Führungspositionen weiblich besetzt. Herausragend ist außerdem die Katholische Nachrichtenagentur, bei der laut Erhebung keine einzige Frau in redaktioneller Verantwortung arbeitet. Immerhin weiß Joshua Beer in der SZ aus der Pressekonferenz zur Studie zu berichten:

"KNA habe den Studienleiterinnen versichert, ‚bei der Verrentung‘ ihrer männlichen Mitarbeiter künftig gezielt auf Nachfolgerinnen zu setzen."

In diesem Zusammenhang sei noch einmal an den Versuch der ProQuote-Frauen erinnert, Ende vergangenen Jahres mit mehreren Chefredaktionen über das Thema ins Gespräch zu kommen (Pressemitteilung):

"Bild, Welt und Focus wollten ProQuote nicht treffen oder konnten keine Termine in diesem Jahr ermöglichen – angeblich waren sie zu beschäftigt. […] Jürgen Kaube, einer der vier Männer im vierköpfigen Herausgebergremium, das bei der FAZ eine klassische Chefredaktion ersetzt, war immerhin bereit zum Gespräch mit dem ProQuote-Vorstand, zeigte aber kaum Problembewusstsein. Ein Problem wäre nur ein ‚drastisches Ungleichgewicht‘ bei der Geschlechterverteilung, sagt er, und sieht das offenbar bei einem Männermachtanteil von fast 76 Prozent nicht. Vielfalt zeige sich ohnehin nicht nur an Kriterien wie Geschlecht, sondern auch an vielfältigem Denken."

Dass ProQuote in den kommenden Jahren die Aufgaben ausgehen, ist also nicht zu befürchten.


Altpapierkorb

+++ In diversen Medien ist von einem Unesco-Bericht zu lesen, demzufolge im vergangenen Jahr weltweit 86 Journalistinnen und Journalisten getötet worden sind – deutlich mehr als im Vorjahr. Vor allem Lateinamerika und die Karibik sind für Medienschaffende gefährlich, aber auch die Ukraine und Haiti, schreibt unter anderem "Zeit online". In 86 Prozent der Fälle wurden die Täter nicht bestraft.

+++ Die Olympischen Spiele werden weiterhin bei den Öffentlich-Rechtlichen zu sehen sein. Dass ARD und ZDF sich die Rechte bis 2032 sicherten, berichtet unter anderem DWDL.

+++ Die Sendermarken und Moderatoren "praktisch aller großen deutschen privaten Sender" sind aktuell von gefälschten Facebook-Profilen betroffen. Das sagte der Verband Vaunet dem RND. Und wer jetzt sofort an russische Propaganda denkt: Für die zahlreichen Fälschungen könnten laut Text genauso gut Kriminelle verantwortlich sein, die Daten abgreifen wollen.

+++ 1,4 Mio. Euro Anwaltskosten für insgesamt 31 Rechtsanwälte aus vier Kanzleien: So teuer war bis Ende November die Aufarbeitung der Missstände beim rbb, wie das hauseigene Rechercheteam herausgefunden hat. Die Bilanz von Autorin Gabi Probst: "Bislang ist der Ertrag auch überschaubar. Im Zwischenbericht vor dem Rundfunkrat im Oktober 2022 stand - nach einem Vierteljahr Prüfung - nicht sehr viel mehr, als was zuvor in der Presse stand."

+++ In der FAZ (€) schreibt Michael Hanfeld über Kritik an zwei WDR-Autoren. Einer hat auf Instagram die CDU scharf kritisiert, der andere im Programm Pädophilie-Witze gerissen.

+++ Das deutschsprachige "Argentinische Tageblatt" hat nach stolzen 134 Jahren sein Erscheinen eingestellt – und wird von Josef Oehrlein in der FAZ (€) schmerzlich vermisst (er kommt zusammen mit der Vorgängerzeitung auf 144 Jahre). Auch Georg Ismar hat für die SZ (€) einen Nachruf verfasst und geht vor allem auf die wichtige Rolle des Blattes im ideologischen Kampf gegen den Nationalsozialismus ein.

+++ Über einen Politik- und Medienskandal rund um das Schweizer Verlagshaus Ringier berichtet Jürg Altwegg in der FAZ (€). Es gebe Hinweise, dass Verlagschef Marc Walder vertrauliche Informationen aus der Regierung bekam – und im Gegenzug besonders positiv berichtete.

Das nächste Altpapier kommt am Mittwoch von René Martens.

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