Teasergrafik Altpapier vom 05. März 2020: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 05. März 2020 Clair des lunes

28. Februar 2020, 11:59 Uhr

Wir sind nicht die einzigen, die sich momentan etwas eingefangen haben: Vor lauter Langeweile hat sich Mutter Erde einen zweiten Mond zugelegt. Das Mondchen wird wieder verschwinden, bevor die Erdtrabantenliteratur und –musik umgeschrieben werden kann. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Mondgeschichten

Was ohne den Mond auf der Erde los wäre, ahnt jeder, der schon einmal die heimliche Kleinkinder-Horrorgeschichte “Der Mondbär“ von Ralf Fänger und Ulrike Moltgen vorlesen oder als Hörspiel anhören durfte. (Oder musste.) Oder den Film anschauen durfte. (Oder musste.) Ein, wie sagen wir es am besten, etwas egozentrischer Bär holt sich darin den Mond mit einem Lasso vom Himmel, um ihn für sich allein zu haben – ein Umgang mit dem Himmelskörper, der seinesgleichen sucht. Und findet: In “Ich – Einfach unverbesserlich“ schaffte es ein noch böserer Schurke tatsächlich, den Mond mit einem Schrumpfstrahl zu verkleinern, um ihn zu stehlen – aus reiner Boshaftigkeit! Das geht weit über die ignorante und fahrlässige Art und Weise hinaus, mit der sich Professor Barbenfouillis im ersten Science Fiction-Film der Welt,  George Méliès’ 1902 entstandenen “Die Reise zum Mond“ dort oben aufführt, indem er erst einmal die nichtsahnenden Bewohner, die Seleniten, mit seinem Regenschirm erschlägt. Und stellt zudem Dr. Evils impertinente Idee aus “Austin Powers: The Spy who shagged me“ in den Schatten, den Mond mithilfe eines riesigen Lasers namens “Alan Parson’s Project“ in “Death Star“ umzubenennen.

Würden wir ohne Mond menstruieren?

Immerhin wird der Mondbär von seinen Waldbewohnerfreunden und –freundinnen schnell überredet, den Satelliten wieder nach oben zu katapultieren (bei einer Masse von 7,349 x 10 hoch 22 Kilogramm eine beeindruckende Leistung für einen kleinen Waldbären.). Denn was würden wir nur ohne Mond tun? Wie würden die Küsten aussehen ohne Ebbe und Flut, was würde von den Wölfe angeheult werden bzw. sie in Werwölfe verwandeln, wohin würde Frank Sinatra geflogen werden, was für eine Landung hätte Stanley Kubrick im Auftrag der Nixon-Regierung gefälscht, und: würden wir überhaupt noch etwa 35 Jahre lang regelmäßig (sic) menstruieren, oder einfach nur unkontrolliert vor uns hinbluten?!

Sofa-Mond versus VW-Golf-Mond

Es wundert darum nicht, dass die Entdeckung eines zweiten Mondes in der Erdumlaufbahn, der laut Frankfurter Rundschau “etwa so groß wie ein Auto“ (Durchmesser 1,9 – 3,5 Meter, SUVs werden zumindest hierbei endlich mal ignoriert), bzw. laut der peniblen Süddeutschen Zeitung  “so groß wie ein VW-Golf“ ist, ganz schön, nun ja, Mondstaub aufgewirbelt hat. Schließlich weiß man nie, was besonders mondfühlige Menschen so alles mondfühlen, wenn sich atmosphärisch etwas ändert. Allerdings werden jene Mondfühligen bereits eine gute Weile von lunarem Alpdrücken geplagt sein: 2020 CD3, so lautet der etwas uninspirierte Name des Mondchens, gondelt schon seit drei Jahren in  willkürlichen Bahnen um die Erde herum - und soll ab April leider besseres zu tun haben, weiß der Merkur, der seinem planetarischen Namen zum Trotz die Weltraumgeschichte relativ klein fährt. Denn der Brocken soll im nächsten Monat schon wieder aus der Umlaufbahn gestoßen werden und verschwinden. Dass es vor rund vierzehn Jahren schon einmal ein Minimond namens 2006 RH 120 in die Umlaufbahn geschafft hat, weiß unter anderem Geo - allerdings schien das weder große noch kleine Geister gestört zu haben. Sichtbar aufgegangen ist eh immer nur einer.

Clair des lunes

Die Bildzeitung hatte ebenfalls über 2020 CD3 berichtet, ihn aufgrund seiner Größe als “Sofa-Mond“ bezeichnet, was irgendwie viel nachhaltiger und gemütlicher als “VW-Golf “ klingt, und gleich die wichtigste aller Fragen gestellt: “Können Menschen auf so einem Asteroiden landen?“ “Generell ja!“ beantwortet das die Zeitung, allerdings sei er dann doch zu mickrig. Soviel zur Theorie “Platz ist auf dem kleinsten Mond“.

Das Mondchen braucht für seine Erdumrundung übrigens vier Monate (statt vier Wochen), was wiederum interessant für das Menstruationsthema wäre, wenn es denn überhaupt stimmt, dass das irgendetwas miteinander zu tun hat (andere Säugertiere bluten anscheinend nach anderen Regeln - Schimpansinnen haben einen Zyklus von 37 Tagen, Mäuse von fünf. Unnützes Partywissen Ende.) Aber hier noch ein wenig sehr nützliches Wissen: Die Novelle “Clair de lune“ (hier eine englische Version) von Guy de Maupassant, die man momentan im Brustton der Überzeugung wohl kurzzeitig in “Clair des lunes“, beziehungsweise “Mondeschein“ umbenennen dürfte, erzählt die Geschichte einer Frau, die der Mond zur Liebe inspiriert, und die somit die Liebe mehr liebt als einen möglichen Partner. Wie stark wohl ihr Liebeswillen gewesen wäre, hätte 2020 CD3 sich damals schon in der Nähe von Mutter Erde herumgetrieben! Und was hätte erst Debussy dazu gesagt und komponiert!

Altpapierkorb

+++ Die Süddeutsche zieht eine sehr interessante Verbindung zwischen dem coronavirusbedingten Maskenwahn und dem Mittelalter, in dem zu Pestzeiten die “Pestdoktoren“ Schnabelmasken gegen die Krankheit trugen (und verschweigt dabei, vielleicht aus gutem Grund, den Einsatz von Blutegeln und Aderlass). Überhaupt könnte man doch auch mal darüber nachdenken, dass der momentane angstbedingte Niedergang des Bisou-Bisou-Wangenküsschens auch sein Gutes hat: Man sollte eh immer nur küssen, mit wem man etwas vorhat. Oder eben Kinder.

+++ Auch das ZDF ballert Coronainfos aus allen Kanälen: Ein Experte macht das “falsche“ Verhalten Chinas nach dem Virusausbruch für einen Teil der Ausbreitung verantwortlich und erklärt, das “Sanitätsband“ sei zu spät um die Stadt gezogen worden. Und er sagt etwas Interessantes, was man bestimmt prominenter diskutieren wird, wenn das Virus (hoffentlich bald) eingedämmt ist: “Ich glaube, wir müssen neben anderen Argumenten, die es gibt, durchaus nochmal darüber nachdenken, ob diese völlig rigorose und grenzenlose Globalisierung etwas ist, was funktionieren kann in Gesellschaften, die dann doch am Ende, wenn es um so etwas geht, ein gehöriges Stück Egoismus haben.“

Und es steht außer Frage, dass man AfD-Mitgliedern nicht die Hand schüttelt, Bodo Ramelow weiß das natürlich. Mit Corona hat das nichts zu tun. Der Münchner Merkur dokumentiert die erlebnisreiche Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Die selbstverständliche Verweigerung des Handschlags gegenüber eines Rechtsextremen ist auch für die taz ein Thema: “Applaus brandet auf“.

+++ Die taz nennt Joe Biden “Das Comeback-Kid“, was subtil auf die Alter der verschiedenen Kandidaten in diesem Megademokratenwahlkampf anspielt. Anscheinend war nach dem Ergebnis auch noch “sein Sakko schief geknöpft“ – nicht unsympathisch.

Neues Altpapier gibt‘s wieder am Freitag.

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