Teasergrafik Altpapier vom 9. Dezember 2019: Balkendiagramm (Schwarz und rot) mit Ergebnissen von Wahlumfragen auf einer Wetterkarte von Deutschland.
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Das Altpapier am 9. Dezember 2019 Was verrät #SPD über politischen Journalismus?

09. Dezember 2019, 15:57 Uhr

Zeigt die Berichterstattung rund um den Parteitag, dass es im Journalismus an Diversität und Selbstwahrnehmung mangelt? Die Diskussionen gingen am Wochenende weiter. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Nicht dass die SPD die Diskussionen über ihr Personal und ihren Verbleib in der Regierung nicht selbst verursacht hätte. Aber der mediale Betrieb hat sich nun auch nicht übertrieben stark gegen diesen Fokus gewehrt.

Die neue Parteispitze wurde rauf- und vor allem runterkommentiert, böse Vorahnungen wurden kommuniziert; über eingeübte journalistische Reflexe konnte man jedenfalls in den vergangenen Tagen etwas lernen. Aus Samira El Ouassils bereits zitierten Übermedien-Text zum Thema mit der immer noch ganz exquisiten Überschrift "Apokalyptische Writer" etwa.

Nun, zu Beginn des Wochenendes, an dem die neue Doppelspitze auf dem Parteitag gewählt wurde, gab es hier und da weiteren Alarm: einen Vergleich der SPD-Basisabstimmung mit dem "Horror des Brexit" etwa. Oder den Vergleich von Parteichefin Saskia Esken mit einer "sadistischen Gemeinschaftskundelehrerin".

Das Thema hat auch Medienjournalisten am Wochenende beschäftigt. "Der Mediensturm, der nach der Wahl über das neue SPD-Spitzenduo hereinbrach war (…) natürlich ziemlich unfair, weil: Man war ja überrascht und darum latent beleidigt", meinte etwa Stefan Winterbauer bei Meedia. Und Harald Staun fasste in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zusammen, es habe viele "alarmierende Leitartikel über die mangelnde Erfahrung und Bekanntheit von Saskia Who und Norbert Was-weiß-Ich" gegeben.

Aber vor allem fanden die Diskussionen – nicht nur über die SPD, sondern auch über das journalistische Drumherum – bei Twitter statt. Bei allen anderen Stimmen, die es gab, schuf die Unzahl der überzeichneten Schwarzmalereien bei einigen wohl den Eindruck einer kampagnenartigen Geschlossenheit. Es kursierte zum Beispiel die Frage, ob eine "Meute" die SPD "medial hingerichtet" habe. Das kann man verneinen, so einfach ist das ja nun nicht mit der Wirkung von Medien. Aber ein Blick auf die Diskussionen lohnt sich schon: War die SPD-Berichterstattung zu homogen? Zu reflexhaft?

Diagnose Diversitätsmangel

Einer der häufig getwitterten Texte war ein Interview des ZDF mit dem Elitenforscher Michael Hartmann, der darin über die "Rekrutierung und … Lebenssituation der Medienelite und der Journalisten in den großen Medien" spricht:

"Die Sichtweise auf die Gesellschaft ist geprägt durch unsere Herkunft. Gesellschaftliche Ungleichheiten werden komplett anders bewertet, je nachdem, aus welchem Milieu man selbst stammt. … Der Blick auf eine Gesellschaft und das, was man richtig und falsch findet, wird geprägt durch die eigene Herkunft."

Das Interview allerdings wurde nicht jetzt, sondern schon im August veröffentlicht. Im Zusammenhang mit der SPD-Berichterstattung wieder ausgegraben hat es dieser Tage der Passauer Soziologe Ingmar Mundt: "Lohnt sich mit Blick auf die derzeitige Berichterstattung über die #SPD noch mal zu lesen", schrieb er. Die Frage ist nur, ob das Interview im Zusammenhang mit der aktuellen SPD-Berichterstattung angemessen verortet ist. Denn wovon spricht Michael Hartmann, wenn er "Elite" sagt?

"Wenn man den Begriff sehr eng hält, gehören zur Elite die Herausgeber und die Chefredakteure der großen Printmedien. Und die Intendanten, Chefredakteure und Programmdirektoren von Rundfunk und Fernsehen. Selbst wenn man noch andere hohe Führungskräfte hinzunimmt, ist das ein sehr überschaubarer Kreis von 150 bis 200 Personen."

Dieser Kreis berichtet allerdings nicht unbedingt über einen Parteitag. Christoph Kappes monierte folglich, wenn man Herkunft und SPD-Kommentierung korrelieren wolle, müsse man "politische Kommentatoren betrachten". Auch Führungskräfte, erwiderte Teresa Bücker, hätten aber doch "Einfluss auf thematische Linien, auf die Zusammensetzung der Redaktionen".

Hat die SPD-Berichterstattung also blinde Flecken aufgrund fehlender Diversität von Journalisten?

Hm. Man bräuchte wohl eine Studie aus einer Parallelwelt, mit einer heterogenen Kontrollgruppe, um es wirklich herauszufinden. Allzu weit hergeholt ist die Annahme aber vielleicht nicht, dass Journalisten, die zum Beispiel aus Hartz-IV-Kontexten kommen, anders auf die neue SPD-Spitze schauen könnten, als Journalisten, die noch nie eine Arbeitsagentur betreten mussten. Das Gespräch in Politikredaktionen würde sich sicher verändern, wenn Medienhäuser heterogener geführt würden. Zumindest wäre mehr Diversität ein Weg, um den Eindruck zu verhindern, journalistische Medien würden kampagnenartig Personen oder Parteien hoch- oder niederschreiben. Weil von Anfang an mehr unterschiedliche Positionen vermittelt würden.

Diagnose Inhaltsleere

Diversität beim journalistischen Personal ist aber nur ein Faktor. Man nehme den Thread von Georg Diez, der  unter dem Hashtag #SPD schrieb, er stelle in der Berichterstattung eine "Mischung aus Untergangssehnsucht, Personenfixiertheit, Entpolitisierung und Dünkel, vor allem männlichem Dünkel" fest. Ebenfalls ein Faktor wäre demnach Diversität im Zugang zu Themen und in der Themenwahl.

Es ist ja nicht ausgemacht, dass parteiinterne Personaldiskussionen über Monate zum Pflichtprogramm so vieler Redaktionen gehören. Und noch weniger, dass man neue Personen in der großen Politik an Merkmalen wie Stimmvolumen, Elternbeiratstätigkeit oder Berufsjahren außerhalb des politischen Betriebs einordnet. Man könnte stattdessen zum Beispiel auch die Rangfolge umdrehen und Machtfragen hinter die inhaltlichen stellen. Oder einfach zugeben, dass man die Handynummern der neuen Parteichefs noch nicht hat und ihretwegen nun den Zugang zu Informationen aus dem Willy-Brandt-Haus zu verlieren droht. Das wäre jedenfalls wahrhaftiger als mancher Kommentar, der aus dem Neigungsgrad von Mundwinkeln auf Kompetenz schließt.

"Vor allem", schreibt Georg Diez, gehe "dieses Schäumen" über die neue SPD-Spitze "an der Aufgabe dieses Momentes vorbei: Inhaltlich, politisch, konzeptionell einen Journalismus zu praktizieren, der auf der Höhe der Herausforderungen agiert." Ein zentraler Satz in seinem Thread lautet: "Das Maß an mangelnder Selbstwahrnehmung ist erstaunlich."

Diagnose Umfragenfixierung

Die Fixierung auf Umfragen wäre so ein Beispiel für einen Journalismus, dem es an Selbstwahrnehmung mangelt. Und der auf die kurzatmige Produktion eigentlich erkenntnisfreier Information setzt, die dann die weitere Diskussion nachrichtlich am Laufen hält. Umfrageinstitute werden in der Regel von Redaktionen beauftragt. Forsa von RTL/ntv, Emnid von Bild am Sonntag, die Forschungsgruppe Wahlen vom ZDF oder Infratest dimap von der ARD. Die Institute liefern Zahlen. Und diese Zahlen werden dann in die Berichterstattung eingespeist, als wären sie nicht selbstproduziert und als wäre ihre Wiedergabe eine zentrale Aufgabe von Journalismus.

Das "RTL/ntv-Trendbarometer" von Forsa, zum Beispiel, zeigt einen Absturz der SPD auf elf Prozent. Bei Forsa freilich schneidet die SPD halbwegs verlässlich nicht zu gut ab. Und bedenkt man, dass die Umfrage in der Zeit erhoben wurde, in der die oben zitierten "Apokalyptischen Writer" gerade wider die neue Parteispitze galoppierten, ist womöglich gar nicht viel mehr zu erkennen als ein Stimmungsbild, an dem Journalisten selbst aktiv mitgezeichnet haben.

Was tut jemand, der sich vielleicht nicht groß mit Politik beschäftigt, wenn ein Umfrageinstitut anruft, um nach Parteipräferenzen zu fragen? Womöglich würde sie oder er nicht ausgerechnet den Namen einer Loser-Partei nennen, über die in allen Zeitungen steht, dass sie gerade den Bach runtergeht.

Eine am Sonntag veröffentlichte Emnid-Umfrage wiederum zeigt laut bild.de eine andere Entwicklung, nämlich dass der Wechsel an der SPD-Spitze bei den Wählern "gut anzukommen" scheine. Nur wurden die Umfragedaten teilweise bereits erhoben, bevor die neue Spitze die Stichwahl überhaupt gewonnen hatte.

Der Soziologe Marcel Schütz twitterte am Sonntag: "Meinungsumfragen in hohem Takt und klarem Fokus sind geradezu darauf ausgerichtet, tiefere Erkenntnisse zu vermeiden. Ihre Funktion ist sehr viel näher am Wetter als an Forschung". Wo also steht die SPD? Auf jeden Fall bei Gegenwind.


Altpapierkorb (Gebhard Henke, Zeitungszustellung, Generalabonnement für Schweizer Medien, Medienstaatsvertrag, Presseratsrüge)

+++ Susanne Lang hat für das taz-Magazin "FuturZwei" Gebhard Henke, der "aufgrund von Hinweisen auf Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und Machtmissbrauchs" nicht mehr Fernsehspielchef des WDR ist, und Studierende an der Kunsthochschule für Medien in Köln getroffen: "Studierende, die aus Gründen der Solidarität mit belästigten Frauen davon ausgehen, dass Henke ein Täter ist, der die Schule verlassen muss. Ein Professor, gegen den an der KHM keine Vorwürfe vorliegen. Ein Kollegium, das offiziell schweigt und sich nur im kleinen Kreis zu der Situation verhält." Es geht um eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit, die zumindest in diesem Text nicht hergestellt wird. (Offenlegung: Ich habe einen kurzen Text für das Magazin geschrieben.)

+++ Ulrike Simon hat bei Horizont den Stand in Sachen Zeitungszustellungs-Subventionen, für die sich der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger einsetzt – und weiß, dass bei der Sitzung des BDZV-Präsidiums durchaus auch Skrupel formuliert worden seien: "Auf ihre rein privatwirtschaftliche Finanzierung waren Zeitungsverlage schließlich immer stolz."

+++  Ein Reporter des Schweizer Tages-Anzeigers "träumt von einem Generalabonnement für Schweizer Medien", schreibt der deutsche Kooperationspartner Süddeutsche Zeitung: "von einem sozialen Netzwerk für Nachrichten, in dem man mit einem einzigen Account Zugang zu allen seriösen Medien erhält."

+++ Der Medienstaatsvertrag (Altpapier vom Freitag) erweise sich als "massiver Angriff auf die Medien- und Meinungsfreiheit im Internet", wird der FDP-Politiker Jan Marcus Rossa in der Welt zitiert. Die aber klarstellt, dass hier auch Springer-Positionen berührt sind. Es geht um die Frage, ob von Presseverlagen verbreitete Livestreams unter das Rundfunkrecht fallen.

+++ Bild.de hat vom Presserat eine Rüge erhalten (sz.de) – für die Veröffentlichung von Sequenzen des Videos, das der Attentäter in Halle während seines Anschlags auf die Synagoge live ins Netz übertragen hatte. "Die Redaktion von Bild.de habe damit gegen Richtlinie 11.2 des Pressekodex verstoßen, wonach die Presse sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen dürfe."

Neues Altpapier kommt am Dienstag.

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